Für alle, die mehr über das Thema Flucht und im Speziellen den Bosnien-Krieg erfahren wollen. Emotional, mitreißend, nachdrücklich.
"Mit einem Mal sah ich alles vor mir: Die Mühe, sich ein Leben aufzubauen, und das Zuschlagen des Schicksals, das alles über den Haufen geworfen hatte. Ich fragte mich, wie man sein eigenes Leben überleben ...
"Mit einem Mal sah ich alles vor mir: Die Mühe, sich ein Leben aufzubauen, und das Zuschlagen des Schicksals, das alles über den Haufen geworfen hatte. Ich fragte mich, wie man sein eigenes Leben überleben konnte."´- Buchzitat (S. 254)
In ihrem Roman "Und dann sind wir gerettet" erzählt Alessandra Carati die Geschichte von Aida, die 1992 im Alter von sechs Jahren den Krieg im ehemaligen Jugoslawien miterlebt. Alessandra Carati, 1974 in Monza geboren, ist Schriftstellerin, Lektorin und Drehbuchautorin. Mit dem Roman "E poi saremo salvi" (Mondadori, 2021) gewann sie den Premio Viareggio-Rèpaci Opera Prima und war unter den fünf Finalist:innen für den Premio Strega 2022.
Zum Inhalt: Nach einer dramatischen Flucht gelangt Die Protagonistin Aida mit ihren Eltern von Bosnien nach Mailand, wo später ihr Bruder Ibro geboren wird. Die Kinder wachsen in einer fremden Umgebung auf, während der Krieg ihre Heimat zerstört und die Familie durch die erzwungene Umsiedlung und die damit verbundene Trauer um die zahlreichen Kriegsopfer schwer belastet wird.
Der Roman zeigt sehr anschaulich die psychischen und sozialen Verwüstungen eines Krieges und dessen Auswirkungen auf die individuelle Psyche. Wir begleiten Aida und ihre Familie von 1992 bis 2012/2013 durch die verschiedenen Phasen der Flucht, des Ankommens und der Rückkehr. Anfangs freute ich mich über die erfolgreiche Flucht der Familie und ihre sichere Ankunft in der "neuen Heimat". Doch die Angst um die Zurückgebliebenen blieb spürbar, und die Familie entfremdete sich zunehmend voneinander, sich selbst und auch anderen Menschen. Am Ende bleibt die Frage: War die Flucht wirklich die Rettung? Wer wurde gerettet? Was kostet eine Flucht?
Das Buch behandelt Themen wie Fluchterfahrung, Tod, Trauer, Geschwisterliebe, Entfremdung, Familie, Integration, psychische Krankheiten, vererbte Traumata und Genozid. "Und dann sind wir gerettet" ist schmerzhaft und hoffnungsvoll zugleich. Die Verzweiflung und Hilflosigkeit der Familie werden eindrücklich dargestellt. Die Autorin schafft es, mir Szenen bildlich vor Augen zu führen, und ich sehe die Romanfiguren in ihrem Tun und Leben. Dies gelingt besonders, weil sich der Roman fast wie ein Tagebuch (von Aida) liest, unterteilt in viele kurze Abschnitte- was die Lesbarkeit zusätzlich unterstützt. Die Übersetzung aus dem Italienischen ist sehr gelungen wie ich finde und transportiert wunderbar die verschiedenen Emotionen und Stimmungen.
Das Cover ist jedoch leider nichtssagend und hat noch viel Luft nach oben. Anhand des Covers hätte ich im Laden niemals zum Buch gegriffen - was sehr schade gewesen wäre.
Die Geschichte hat aufgrund ihrer Dramatik lange bei mir nachgeklungen. Es hat mich nicht nur durch einen sensiblen Blick auf die Herausforderungen von Krieg, Flucht und Neuanfang, sondern auch durch die wundervoll poetische Sprache der Autorin, die ich bis dato nicht kannte, überzeugt. Emotional hat mich das Buch jedoch sehr mitgenommen und ich musste an vielen Stellen schlucken.
Zusammenfassend ist "Und dann sind wir gerettet" ist ein tief berührendes, emotional herausforderndes aber gleichzeitig auch wichtiges Buch. Es verdient 4 von 5 Sternen - was genau auf den 5. Stern gefehlt hat kann ich nicht sagen (außer dem Cover).
„Als du auf die Welt gekommen bist, konnte ich es nicht abwarten, dass du sitzen konntest. Dann konnte ich nicht abwarten, dass du anfangen würdest zu krabbeln und dann zu laufen." Sie machte eine Pause. „Und als du laufen gelernt hattest, bis du weggegangen." Keinerlei Vorwurf lag in ihrem Blick und auch nicht in ihrer Stimme. „Es war unsere Schuld. Wir wollten das Haus, wir wollten Geld hierherschicken, wir wollten so viele Dinge, aber die Kinder bleiben nicht ewig klein. Ganz plötzlich haben wir festgestellt, dass ihr schon groß wart." - Buchzitat (S. 279)