Charmant, feministisch, herzerwärmend, unterhaltsam – und für mich der beste Roman seit langem! Lieblingsbuch! ♥
Spoilerfreie Rezension!
Inhalt
Sie ist Chemikerin, intelligent, selbstbewusst und eine Frau – eine skandalöse Kombination in den 50er- und 60er-Jahren im konservativen Amerika. Elizabeth Zott gibt ...
Spoilerfreie Rezension!
Inhalt
Sie ist Chemikerin, intelligent, selbstbewusst und eine Frau – eine skandalöse Kombination in den 50er- und 60er-Jahren im konservativen Amerika. Elizabeth Zott gibt aber nichts auf Konventionen und den Hausfrauenhype, denn ihre Religion ist die Wissenschaft. Trotzdem ist es oft schwer, sich als Frau nicht unterkriegen zu lassen. Dafür braucht es viel Mut, Kreativität, Durchhaltevermögen – und den einen oder anderen gut anspitzten HB-Bleistift…
Übersicht
Einzelband oder Reihe: Einzelband
Erzählweise: Allwissende Erzählweise, Präteritum
Perspektive: weibliche, männliche und tierische Perspektive
Kapitellänge: kurz (Hörbuch)
Tiere im Buch: + Im Buch werden keine Tiere verletzt, gequält oder getötet. Problematisch ist nur, dass Tierversuche in der Forschungseinrichtung durchgeführt werden und dass sie nicht verurteilt, sondern als etwas Notwendiges angesehen werden (keine genauen Beschreibungen).
Triggerwarnung: Depression, Trauer, Blut, Tod von Menschen, Sexismus, sexualisierte Gewalt (bis hin zu Vergewaltigung), Gewalt gegen Frauen, Diskriminierung, Misogynie
Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann): bestanden!
Frauenfeindliche / gegenderte Beleidigungen: Fo+++, Hu++söhne, Fli++chen, Hu++
Warum dieses Buch?
Aufgrund des altmodischen Covers wäre ich nie auf die Idee gekommen, dieses Buch zu lesen, aber ich sah plötzlich immer mehr positive Rezensionen dazu. Auch @tanybeee (Instagram) meinte, die Geschichte sei viel, viel besser, als man vermuten würde. Das hat mich natürlich neugierig gemacht!
Kurzrezension
Das hat mir gefallen…
Schreibstil (5 Lilien ♥)
Schon nach den ersten paar Seiten wurde mir klar: Bonnie Garmus kann fesselnd und mitreißend erzählen wie nur wenige andere Autor·innen! Ihre Sprache ist angenehm komplex, aber trotzdem sehr anschaulich und flüssig lesbar – und dabei unheimlich charmant. Man merkt, dass jeder Satz mit viel Liebe verfasst wurde!
Humor (5 Lilien ♥)
Großartig an „Eine Frage der Chemie“ fand ich auch den feinen Humor und die Situationskomik, die das ganze Buch unaufdringlich durchziehen. Nicht nur einmal habe ich beim Lesen geschmunzelt oder laut aufgelacht!
„Sie trug ein tristes Kleid mit Knöpfen bis hinunter zum Saum. […] Auf ihrem Kopf saß eine Schutzbrille, knapp über ihrem Ohr steckte ein HB-Bleistift. In einer Hand hielt sie ein Notizbuch, in der anderen drei Reagenzgläser. Sie sah aus wie eine Mischung aus Zimmermädchen und Bombenentschärfer.“ Hörbuch, 55%
Dialoge (5 Lilien ♥)
Auch die Dialoge konnten mich auf ganzer Linie überzeugen! Die Gespräche (oft sind es auch eher Wortgefechte) wirken so authentisch und sind so mitreißend geschrieben, dass man nach einer Weile ganz vergisst, dass man hier nur ein Buch liest! Toll!
Idee / Geschichte / Themen / Umsetzung (5 Lilien ♥)
Charmant, unterhaltsam und herzerwärmend. Das sind die ersten drei Worte, die mir einfallen, wenn ich an die Lektüre zurückdenke. Selten zuvor habe ich ein Buch gelesen, das ich so charmant fand und in dem ich mich so wohlgefühlt habe – und das, obwohl einige schockierende Ereignisse passieren und Elizabeth einige Schicksalsschläge verwinden muss. Romane neigen dazu, etwas langatmig zu sein – doch hier war das nicht der Fall. Der Plot ist so gut durchdacht und entfaltet sich genau im richtigen Tempo, sodass es immer etwas zu entdecken gibt und es nie langweilig wird. Dass auch ein Hund teilweise durch die Geschichte führt, das fanden einige Leser·innen zu unrealistisch und kitschig. Doch obwohl ich praktisch allergisch gegen jede Art von Kitsch bin, haben mich vereinzelte kitschige Momente bei diesem Buch überhaupt nicht gestört – im Gegenteil, ich fand sie richtig passend und süß gemacht.
Thematisch stehen der Zeitgeist und das Leben in den 50er- und 60er Jahren im Fokus, es geht um Wissenschaft (alle Konzepte werden sehr gut erklärt), Liebe, Familie, Freundschaft, Trauer. Es wird sich viel Zeit genommen, all diese Themen tiefgründig auszuarbeiten. Die Autorin, Tierschützerin und Wohltäterin, die viel von ihrem Einkommen spendet, ist übrigens wahnsinnig sympathisch und hat in einem Interview verraten, dass der fiktive Hund „Halb-sieben“ auf ihrem eigenen intelligenten, mittlerweile leider verstorbenen Hund aus dem Tierschutz basiert. Für mich ist es kaum zu glauben, dass das erste Schreibprojekt der Autorin von ganzen 98 Literaturagenturen abgelehnt wurde, denn auch hier muss ihr Talent ja schon erkennbar gewesen sein!
Besonders gut hat mir aber der feministische Fokus gefallen: Elizabeth Zott beschreibt ungeschönt und sehr realistisch, wie schwer man es damals als Frau in der Gesellschaft und besonders als Wissenschaftlerin hatte; wie viel Stärke, Durchhaltevermögen, Talent, Fleiß, Selbstbewusstsein und Mut man damals haben musste, um es zu etwas zu bringen – und viel zu oft reichte auch das alles nicht aus. Frauen in der Wissenschaft bekamen viel gesellschaftlichen Gegenwind zu spüren, erfuhren sexualisierte Gewalt, die ganz ohne Konsequenzen für die Täter blieben, wurden gedemütigt und nicht ernst genommen, ihr Talent wurde verkannt, ihre Arbeit wurde immer wieder von männlichen Kollegen gestohlen und als ihre eigene ausgegeben. Immer wieder brodelte die Wut beim Lesen in meinem Bauch, ich war einfach so empört über das Verhalten, die Gewissenlosigkeit, die Unverfrorenheit und die Frechheit von Elizabeths Chefs, Professoren, Kollegen! Dass das alles leider nicht aus der Luft gegriffen ist, sondern sich genau so zugetragen haben könnte (und sich auch in der Realität einige Male so zugetragen hat), wissen wir leider aus der Geschichte, weshalb „Eine Frage der Chemie“ auch aus feministischer Sicht ein sehr wichtiges, aufklärendes Buch ist. Dass die Kritiker·innen und die Leser·innenschaft begeistert sind, wundert mich jedenfalls überhaupt nicht, denn auch für mich ist „Eine Frage der Chemie“ ein neues Lieblingsbuch und absolutes Jahreshighlight!
„‘Lassen Sie ihre Talente nicht schlummern, Ladys! Gestalten Sie Ihre eigene Zukunft! Fragen Sie sich, wenn Sie heute nach Hause gehen, was Sie ändern wollen – und dann legen Sie los!“ Hörbuch, 92%
Protagonistin & Figuren (5 Lilien ♥)
Mit Elizabeth Zott hat Bonnie Garmus eine starke, intelligente, ehrgeizige, sozial etwas unbeholfene Heldin geschaffen, der ich überallhin gefolgt wäre, die ich angefeuert und mit der ich mitgefühlt und mitgefiebert habe! Mich haben ihr Mut (auch der, den sie anderen Frauen macht!), ihr starker Wille, ihre pragmatische Art und ihre Kreativität immer wieder beeindruckt. Sie ist mir beim Lesen wirklich ans Herz gewachsen. Auch die anderen Figuren, aus deren Sicht zwischendurch erzählt wird, sind liebevoll ausgearbeitet, auf ihre eigenwillige Art sehr liebenswürdig und wirken so authentisch und echt, dass man nach einer Weile fast vergisst, dass es sich dabei um fiktionale Personen handelt!
Sprecherin (5 Lilien ♥)
Ehrlich gesagt habe ich eine Weile gebraucht, um mich an die Sprecherin zu gewöhnen – eine Zeit lang war ich mir auch unsicher, ob ich sie mochte. Doch mit jeder Seite hat sie mich mehr von sich überzeugt, sodass ich nun zum Schluss komme: Ja, Luise Helm macht das ganz wunderbar, fängt perfekt die Stimmung im Buch ein und vor allem VERSTEHT sie die oft kühl wirkende, hochintelligente Heldin und bringt ihre wissenschaftliche, eigenwillige Art und die lebendigen Dialoge sehr gut rüber!
Spannung & Atmosphäre (4 Lilien)
Für einen Roman ist „Eine Frage der Chemie“ wirklich außerordentlich spannend, wendungsreich und mitreißend! Zudem gelingt es der Autorin sehr gut, das Lebensgefühl der und den Alltag in den 50er- und 60er-Jahren in Amerika einzufangen und zum Leben zu erwecken. Es war interessant und hat Spaß gemacht, in diese Vergangenheit einzutauchen!
Feminismus (5 Lilien ♥)
Ohne Zweifel kann „Eine Frage der Chemie“ als feministische, zeitgemäße Lektüre eingeordnet werden, denn im Fokus stehen eine starke weibliche Heldin, die sich keinen gesellschaftlichen Zwängen beugt, das schwierige Leben als Frau im Amerika der 50er- und 60er-Jahre, Ungerechtigkeiten und Diskriminierung und wie frau sich dagegen wehren kann. Auch wenn sich seitdem schon viel verbessert hat, gibt es auch 2022 an feministischer Front noch viel zu tun, da kann man sich von Elizabeth Zotts unbeugsamer Art durchaus inspirieren lassen! Die gegenderten Beleidigungen bilden wohl leider die damalige Realität ab und die verzeihe ich daher gerne. Mir bleibt nur zu sagen: Bitte weiter so, Frau Garmus!
Das lässt mich zwiegespalten zurück…
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Das hat mir nicht gefallen:
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Mein Fazit
Charmant, feministisch, herzerwärmend, unterhaltsam – für mich ist „Eine Frage der Chemie“ der beste Roman seit langem, ein absolutes Jahreshighlight und ein neues Lieblingsbuch. Ihr könnt euch diese literarische Perle natürlich entgehen lassen – es wäre aber ein großer Fehler!
Bewertung
Idee: 5 Lilien ♥
Inhalt, Themen, Botschaft: 5 Lilien ♥
Umsetzung: 5 Lilien ♥
Worldbuilding: 5 Lilien ♥
Einstieg: 4 Lilien
Ende: 4 Lilien
Schreibstil: 5 Lilien ♥
Dialoge: 5 Lilien ♥
Figuren: 5 Lilien ♥
Spannung: 4 Lilien
Wendungen: 4 Lilien
Atmosphäre: 4 Lilien
Emotionale Involviertheit: 5 Lilien ♥
Feministischer Blickwinkel: 5 Lilien ♥
Einzigartigkeit: 5 Lilien ♥
Insgesamt:
❀❀❀❀❀♥ Lilien
Dieses Hörbuch bekommt von mir fünf Lilien und ein Herz – und somit den Lieblingsbuchstatus!