Gemma hat eines geschafft, was viele andere Bücher nach all meinen Jahren als Leserin nicht mehr schaffen, es hat mit einer für mich komplett neuen Idee aufgetrumpft, mich in eine Welt mitgenommen, die ich so noch nicht gesehen habe, und mich mehr als einmal überrascht. Der Grundgedanke, jeder, der unglücklich ist, muss sterben, hat mich einerseits natürlich ziemlich schockiert, andererseits aber auch fasziniert. Immer gut drauf zu sein, ist für viele sicherlich, mich definitiv mit eingeschlossen, nahezu unmöglich, daher war ich umso gespannter, wie die ganze Situation in der Geschichte geschildert wird.
Die Einführung in die Thematik ist gut gelungen, man fühlt sich als Leser bestens an die Hand genommen und nicht wahllos ins Geschehen hineingeworfen. Stück für Stück lernt man langsam die neue Welt mit dem „Glanz“ und ihren neuen Regeln kennen und verstehen, besonders am Anfang erschien mir alles noch so abgefahren, dass ich dankbar für das Tempo war und mir die Zeit gegeben wurde, mich einzugewöhnen. Wie gesagt, ich finde die Idee des Szenarios, das alle Menschen zum Glücklichsein zwingt, gleichermaßen interessant wie verstörend und habe besonders Fakten zur Entstehung dieser neuen Realität aufgesaugt wie ein Schwamm.
Gemma ist eine wie ich finde sehr sympathische Protagonistin. Ich fand es super, wie man sie auf ihrem Weg begleiten konnte, in die Akademie, zu ihrem Vater, durch dieses Gefühlschaos, was sie dabei überkommt, aber eigentlich so gar nicht wünschenswert ist. Zu sehen, mit welchen Mitteln sie versucht, an ihrem Glück festzuhalten, welche Methoden die Menschen in der Zukunft dafür entwickelt haben, war teils absonderlich, aber teils auch recht clever, wobei ich mal ganz leise wage, die prompte Wirksamkeit dieser manchmal etwas spirituellen Methoden anzuzweifeln.
Besonders spannend war es, Gemma bei der Entdeckung anderer Gefühle näher zu beobachten. Wie sie sich anfangs noch so standhaft wehrt und brav auf das Glück pocht, und dann langsam andere Seiten kennenlernt. Das fand ich authentisch und nachvollziehbar dargestellt und hat mir gut gefallen.
Keno, Gemmas männlicher Gegenpart hält nicht viel vom Glück, und Gemma zunächst nicht viel von Keno und umgekehrt. Ich verstehe beide Sichtweisen, einerseits Gemma, die sagt, Keno spielt wissentlich mit seinem Leben, was einen recht dummen und undankbaren Eindruck macht. Andererseits Keno, der sagt, er möchte alles fühlen, auch mal die Enttäuschung, die Angst, er möchte sich einfach ganz fühlen und nicht einschränken lassen. Zwei komplett konträre Ansichten, die mit zwei sehr verschiedenen Charakteren einhergehen, aber doch irgendwie harmoniert haben. Ich mochte Keno, er war angenehm ruhig und gelassen, aber konnte auch provokant werden, wenn ihm jemand blöd kommt oder in eine Ecke drängt. Eine spannende Figur, wenngleich nicht so innerlich zerrissen zwischen den Idealen wie Gemma, sondern auf anderer Ebene verletzt.
Das Zusammenspiel der beiden Hauptfiguren verbessert sich im Laufe der Geschichte immer mehr, ich habe es genossen, zu sehen, wie die beiden sich einander annähern, fand auch das Tempo natürlich und angemessen, es war einfach perfekt. Was mir ebenfalls sehr gut gefiel, ist, dass die Liebesgeschichte zwar relativ viel Raum einnimmt und auch noch eine entscheidende Rolle spielt, aber nicht zu kitschig oder extrem aufgebauscht wird und sich natürlich in das Drumherum einfügt.
Zwei Kritikpunkte habe ich leider auch und tatsächlich habe ich recht lange darüber nachgedacht, wie die beiden ins Gewicht fallen. Zum einen konnte mich der Schreibstil an manchen Stellen nicht sonderlich fesseln. Ich habe für das Buch insgesamt sehr lange gebraucht, was allerdings eher an meiner persönlichen Situation als an der Geschichte lag, doch relativ oft bin ich über etwas ungelenk wirkende Formulierungen gestolpert, die sich nicht wirklich in den Lesefluss einfügten. Es wirkte da häufig, als habe man lange über die Wortwahl etc. gegrübelt und den Satz am Ende so sehr zerdacht, dass er in eine etwas andere Richtung abgebogen ist als der Rest.
Zum anderen ist da die Auflösung am Schluss. Ich weiß nicht, was ich erwartet oder mir erhofft hatte, aber so richtig geflasht war ich nicht. Irgendwie war alles recht unspektakulär und fast schon zu simpel, das fand ich sehr schade, zumal man immer noch nicht für alles eine zufriedenstellende Erklärung findet.
Mein Fazit:
Die Geschichte an sich war wirklich spannend und auf einer großartigen Grundidee aufgebaut, die Figuren waren mir sympathisch und ihre Entwicklung habe ich gern mitverfolgt. Der Schreibstil und ich sind keine allzu dicken Freunde geworden und auch das Ende hat mich nicht so überzeugt, aber insgesamt hat mir das Buch wirklich aufregende Lesestunden bereitet und ich vergebe guten Gewissens 4 von 5 Sternen mit einer dicken Leseempfehlung!