Jackie Dupont, die Protagonistin des hier zu besprechenden Krimis oder Cosy Crime oder Mischung aus Krimi und Spionageroman, sehr wahrscheinlich aber eher einer nicht ernst gemeinten Persiflage auf letztere, ist sicherlich eine ungewöhnliche Frau. Überhaupt und speziell für die Zeit, in der die Autorin ihre turbulente Geschichte spielen lässt. Wir schreiben nämlich das Jahr 1921 – und derart eigenwillige und unabhängige Frauen, die sich weder vor Tod und Teufel, noch gar vor der mit allen Rechten ausgestatteten Männerwelt fürchteten, waren damals dünn gesät, wurden, wenn sie sich schon erdreisteten, ihr eigenes, selbstbestimmtes Leben zu führen, nicht ernst genommen und trafen allenthalben auf Mauern der Indignation.
Nicht so Jackie, draufgängerische Privatdetektivin mit unwiderstehlichem Hang zu Juwelen und darüber hinaus mit unklarer Vergangenheit! Die macht gerade, was sie will und zeigt den Männern, wo es lang geht, oder, um sich eines hübschen Bildes zu bedienen, wo Barthel den Most holt. Durchweg! Es gibt nichts, worin sie es nicht zur Meisterschaft gebracht hätte, nichts, was sie nicht besser wüsste oder beherrschte, auf jeden Fall aber zumindest genau so gut wie die zwar präpotenten, aber eigentlich – bis auf eine Ausnahme freilich, wie der Leser früh genug herausfinden wird - schwächlichen Männer, mit denen sie es zu tun hat! Unheimlich, eine solche Frau, nicht wahr? James Bond und Sherlock Holmes, ein bisschen auch Hercule Poirot, in Personalunion – und keine Spur von der zwar möglicherweise blitzgescheiten, aber nach außen hin devoten, sich an die gesellschaftlichen Normeln und Verhaltensregeln ihrer Zeit haltenden üblichen Vertreterin ihres Geschlechts!
Liest man ihre, immer wieder in die Handlung eingestreuten, Tagebucheinträge, so wird mehr als ersichtlich, falls es dazu noch einer Bestätigung bedürfte, dass die – natürlich unwiderstehlich attraktive und schicke! - Heroine vor Selbstbewusstsein nur so strotzt! Also sollte, um endlich zu dem Roman, wie ich ihn der Einfachheit halber nenne, zu kommen, die Aufklärung eines, vorerst nur vermuteten Mordes an einer zu fettem Wohlstand gekommenen Engländerin mit zweifelhafter, auf alle Fälle aber recht elender Vergangenheit, und schließlich der tatsächlichen Tötung einer der wichtigeren Charaktere der Handlung, eigentlich ein Klacks sein. Ist es natürlich auch, wie man sich bald überzeugen kann, nachdem eine irritierende Nebenhandlung, die vom Wesentlichen ablenkt und für gehörige Unruhe unter den Beteiligten sorgt – eben jener Spionagepart -, endlich als das entlarvt wird, was sie ist, nämlich von Anfang bis Ende ein einziger Fake, wie man so gerne auf Neudeutsch sagt, ins Spiel geworfen von jemandem – wer das ist, muss man dann schon selbst herausfinden – aus purer Langeweile, wie mir scheint, oder als cleverer Schachzug, woran ich denn doch zweifle, oder einfach, um Unruhe zu stiften. Ein gewisser Menschenschlag, genauso, wie ein einschlägiger Berufsstand, tut das ja gerne....
Noch ein paar Bemerkungen zu den Herren der Schöpfung, die wir hier antreffen: da ist zum einen der unverschämt gutaussehende und ebenso unverschämt reiche englische Adlige Christopher, genannt Kit, seines Zeichens der Verlobte oder gar Ehemann der Schönen, wie er selber vermutet, denn er hält die verwegene Jackie für seine angeblich mit der Titanic versunkene Angetraute Diana, deren immensen Reichtum er nach ihrem tatsächlichen oder nur gefakten (schon wieder dieses Unwort!) Tod erbte und dem seinen, ohnehin schon beträchtlichen, beifügte. Ein bisschen wirr, das Ganze, aber sei's drum! Christopher also hält sich derzeit in Venedig auf, soll dort, im Auftrag des Patriarchen der Lagunenstadt, dem schönen und gar nicht so reinen und unbefleckten Kardinal Truffino, einem weiteren Protagonisten, ein wertvolles Gemälde restaurieren. Man sieht, auch Christopher hat neben seinem Reichtum und überdies einer unrühmlichen Vergangenheit, derer er sich aber, um ihm Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, aufs Ehrlichste schämt, noch gewisse andere Talente!
Aber zurück zu den restlichen Männern, von denen vor allem der brandgefährliche, skrupellose und brilliante Laszlo Baron von Drachenstein eine Rolle spielt, dereinst auf mysteriöse Weise mit Jackie verbandelt, und bei dessen Erscheinen Kit in Gedanken nach einem Bildhauer ruft, so schön und perfekt proportioniert ist er! Ja, der Deutsche wird dem guten Duke noch schwer zusetzen.... Genauso übrigens wie Jackies Onkel Daniel, der andere Teil der Detektei Dupont & Dupont, vordergründig jovialer Amerikaner, der aber selbstredend einiges zu verbergen hat und still und heimlich sein eigenes Süppchen kocht. Und wenn Christopher gehofft hatte, aus ihm die wahre Identität Jackies/Dianas herauskitzeln zu können, wird er noch seine blauen Wunder erleben....
Nicht vergessen werden sollte der englische Konsul in Venedig, Sir Alfred Purcell, bei dem Duke Christopher Quartier bezogen hat. 'Very british' ist er, doch, man ahnt es schon, in keiner Weise derjenige, den man hinter seiner aufrechten, zwar charmanten, aber doch stocksteifen Fassade vermuten würde. Sir Alfreds Gefährtin, eine exilierte russische Baronin oder Prinzessin, und seine beiden, seelisch wohl nicht recht ausbalancierten, Kinder müssen ebenfalls erwähnt werden, denn auch sie spielen ihre Rolle in dem Durcheinander, das sich vor den Augen des Lesers entfaltet und nach vielen gefährlichen Zwischenfällen schließlich doch noch entwirrt wird. Dies auf eine Art und Weise, die, man kann es nicht leugnen, in Atem hält, der es an Tempo und unvorhersehbarem Hakenschlagen nicht mangelt.
Die Lösung des Rätsels ist so überraschend wie weithergeholt und mich überhaupt nicht überzeugend – doch, eingedenk der starken Vermutung, dass die Autorin (auch?) in ihrem dritten Band um Jackie Dupont gewisse Genres auf die Schippe nimmt und gelegentlich ins Absurde treibt, wohl in Ordnung. Unterhaltend und mit viel Situationskomik gespickt ist „Tod am Canal Grande“ allemal, und gewinnt nicht nur durch einnehmende Schilderungen der venezianischen Lokalitäten, sondern nicht zuletzt durch einen sympathischen kleinen Protagonisten namens Sargent, dem cleveren Hündchen und Detektivpartner der so bezaubernden wie undurchsichtigen, Juwelen liebenden Detektivin und Superfrau, der vermeintlichen Jackie. Wie gesagt, was Genaues weiß man nicht. Es wird auch nicht aufgeklärt. Ist wohl so etwas wie ein running gag.... Jedenfalls, Sargent einzubauen war eine nette Idee, sorgt für heitere Momente und gibt der Geschichte unter zu vielen Reichen und Schönen mit ihren Luxusproblemen, fern von jeglicher, ziemlich sicher nicht rosaroten Realität der Zeit, in der sie spielt, ihre besondere Note!