Die Wiederentdeckung eines tollen Klassikers!
»Vielleicht bekommen sie dann Mut, es selbst in die Hand zu nehmen, statt sich von ihren Eltern und der Gesellschaft vorschreiben zu lassen, wie sie leben sollen«
Die junge Agathe Heidling möchte ihr ...
»Vielleicht bekommen sie dann Mut, es selbst in die Hand zu nehmen, statt sich von ihren Eltern und der Gesellschaft vorschreiben zu lassen, wie sie leben sollen«
Die junge Agathe Heidling möchte ihr Leben eigenständig gestalten, ohne Konventionen und Pflichten leben. Doch mit genau diesen Einschränkungen hat sie zu kämpfen. Tag für Tag leidet sie unter den Zwängen ihrer Eltern und der Gesellschaft. So darf sie kaum eigene Entscheidungen treffen, muss sich stetigen Bevormundungen unterwerfen und sich schlichtweg einer Welt fügen, die nicht der ihren entspricht, sondern von Männern dominiert wird. Agathe kämpft dagegen an, rebelliert und verzweifelt, bis sie mehr und mehr zerbricht, alle Lebensfreude verliert und schlussendlich in eine Nervenheilanstalt eingewiesen wird.
Gabriele Reuters Roman ist, aufgrund der Thematik sowie ihrer einprägsamen Sprache, eine Rebellion gegen die vorherrschende Machtsysteme. Dabei verarbeitet sie, wie das Nachwort von Tobias Schwartz verrät, teilweise ihre echten Erlebnisse und erschafft dadurch ein wichtiges Porträt der Gesellschaft und deren konservative Prägung zum Ende des 19. Jahrhunderts.
Oftmals wird der Vergleich mit Fontanes „Effi Briest“ angestellt, doch ähneln sich diese Romane, meiner Ansicht nach, nur bedingt. Schließlich handelt es sich hier nicht um eine unglückliche Ehe und die Flucht in eine Affäre.
Ähnlichkeiten lassen sich aber dennoch erkennen, vor allem in den Schilderungen der gesellschaftlichen Zwänge, insbesondere für Frauen. Dagegen bemerkt man bei Reuter eine direktere Sprache, ohne Beschönigungen, die teilweise mit Wut gefüttert ist.
Ein Klassiker, der – leider –, trotz seiner ehemaligen Bekanntheit, nicht zuletzt von Thomas Mann, Sigmund Freud oder Victor Klemperer geschätzt, in Vergessenheit geraten ist und nun hoffentlich eine Wiederentdeckung mit großer Leserschaft feiert – verdient hätte er es!