„Immer habe ich getan, was von mir erwartet wurde, und nie das, was ich wollte. Doch wenn man glücklich werden will oder wenigstens einigermaßen zufrieden, dann darf man nicht gegen sich leben. Seit ich das nicht mehr mache, geht es mir gut. Beim nächsten Treffen mit dem Schicksal bin ich mir nichts schuldig.“ (Zitat, S. 434)
Inge Löhnig erzählt diese Kriminalgeschichte in zwei Erzählsträngen, die erst nach und nach zu einem Ganzen verflochten werden. Zunächst erfährt der interessierte Leser von Susanne Möbus, einer Studentin der Kunstgeschichte im sechsten Semester, von ihren Freunden „Sanne“ genannt, die ursprünglich ein fröhliches, geselliges Wesen an den Tag legte, und deren Leben innerhalb eines einzigen Augenblicks vollkommen aus der Bahn geworfen wurde. Der ihr anvertraute Sohn des Ehepaares Evelyn und Nils, der kleine Ludwig, stürzte in ihrer Obhut unglücklich und starb. Auch sechs Jahre nach diesem tragischen Todesfall, bei dem Susanne von jeder Schuld freigesprochen wurde, leidet die junge Frau entsetzlich darunter. Sie trennte sich nach dem Unglück von ihrem Lebensgefährten Manuel, mied von diesem Augenblick an jegliche Menschenansammlungen, entwickelte eine posttraumatische Belastungsstörung und zog sich auf einen einsamen kleinen Gutshof, dem ehemaligen Waschhaus des Guts Paschkofen, zurück. Susanne brach ihr Studium sofort nach Ludwigs Tod ab und erlernte den Beruf einer Bogenbauerin für Geigen, lebt seither ohne jeden Komfort und versucht, bewusst oder unbewusst, sich selber zu bestrafen. Die einzige Gesellschaft ihrer selbst gewählten Isolation ist ein grauer Kater. Nur der sportbegeisterte und gutaussehende stellvertretender Pflegedienstleiter der Seniorenresidenz Mozart, Thorsten Languth, der Susanne nach dem Tod von Ludwig betreute und mittlerweile zu einem guten Freund wurde, hält regelmäßigen Kontakt zu ihr. Diese Freundschaft wird jedoch auf eine harte Probe gestellt, als der Sozialarbeiter sich nach einer einzigen Liebesnacht in Susanne verliebt, ihre Rückweisung jedoch nur schwer verkraftet. Als eines Tages ein hünenhafter, breitschultriger Mann vom Typ „Highlander“ mit langen, braunen Locken und einem großen Hund an seiner Seite auftaucht, reagiert Susanne zunächst ablehnend und misstrauisch. Ihr neuer Nachbar Nioklas Domegall scheint ein überbordendes Selbstbewusstsein zu besitzen, war gelernter Zahnarzt und restauriert nun Möbel. Dies und sein manchmal recht ungewöhnliches Verhalten lassen Susanne weiterhin Vorsicht walten.
Im zweiten Erzählstrang berichtet die Autorin vom Team der Mordermittler bei der Kriminalpolizei in München unter der Leitung Konstantin Dühnforts. Der Kommissar, der seit vier Monaten mit seiner tüchtigen Kollegin Regina Angelucci (Gina) liiert ist und dies aus dienstlichen Gründen noch zu verheimlichen sucht, setzt sich vehement für Gerechtigkeit, Strafe und Sühne ein, er sieht in seinen Fällen die Menschen und deren Schicksale, muss aber dennoch immer alles im Griff haben. Der dritte Ermittler im Team, Alois Fünfanger, steht ein wenig im Schatten der hartnäckigen und dienstälteren Gina. Alois schämt sich seiner bäuerlichen Herkunft und versucht, dies mit edler Designerkleidung und stets korrektem Äußeren zu kompensieren. Er vermittelt zunächst den Anschein von Nachlässigkeit und einer gewissen Trägheit, läuft aber im Verlauf des Falls zu Hochform auf. Inge Löhning widmet sich auch seinem Privatleben und lässt ihn dadurch auf mich immer sympathischer erscheinen.
Das Team Dühnfort tritt zum ersten Mal in Aktion, als der Architekt Jens Flade von einem Auto überfahren und ermordet wird. Zunächst verlaufen die Ermittlungen im Sande, doch als plötzlich ein weiterer Mord passiert, tauchen erste Zusammenhänge auf...
Akribische Untersuchungen, lebendige und äußerst authentische Protagonisten und ein spannungsgeladener, flüssiger Schreibstil machen dieses Buch zu einem wahren Krimigenuss der Spitzenklasse. Es war dies mein erstes Werk von Inge Löhnig, das mich vollständig überzeugte und mich dazu verleitet hat, mir nun auch alle anderen ihrer Krimis zu Gemüte zu führen. Ein wundervoller Krimi mit den Hauptthemen Schuld, Reue, Scham, Demut und dem brennenden Gefühl von Versagen.