Berührend
Allendes neuer Roman „Der Wind kennt meinen Namen“ verwebt die Flucht- und Migrationsgeschichten verschiedener Menschen an verschiedenen Orten in verschiedenen Zeiten miteinander. Im Zentrum stehen dabei ...
Allendes neuer Roman „Der Wind kennt meinen Namen“ verwebt die Flucht- und Migrationsgeschichten verschiedener Menschen an verschiedenen Orten in verschiedenen Zeiten miteinander. Im Zentrum stehen dabei Samuel Adler aus dem Wien von 1938 und Anita Díaz aus El Salvador von 2019. Samuel wird von seiner Familie getrennt und findet sich allein auf einem Kindertransport nach England wieder, während Anita an der US-Grenze von ihrer Mutter getrennt wird und in einem Lager landet. Beide kämpfen mit Einsamkeit und Ungewissheit in einer Welt, die von Gewalt geprägt ist. Zwischendurch kommen aber weitere Charaktere vor, die mehr oder weniger wichtig für Samuel und Anita werden.
So entsteht ein historischer Roman mit einer vielschichtigen Handlung und einer Fülle von Charakteren. Manchmal hat aus meiner Sicht die Entwicklung der Charaktere jedoch unter der Fülle an Charakteren und Ereignissen gelitten, sodass es bei mir auch zu Verwechslungen kam und ich noch einmal nachschlagen musste. Der Schreibstil ist wie immer bei Allende flüssig und angenehm, aber gelegentlich wirkten Dialoge und Erklärungen etwas aufgesetzt, weil im Roman überhaupt kein Vorwissen bei den Leser:innen zu Fluchtgründen für Juden in der NS-Zeit oder zu Hintergründen der Unterdrückung der Bevölkerung in El Salvador vorausgesetzt wird. Das führt dazu, dass zwischendurch viel explizit erklärt wird - ein Jude hätte seinen Nachbarn z.B. 1938 wohl kaum ausführlich über diskriminierende Gesetze aufklären müssen. Dennoch ist es Allende am Schluss gelungen, mich mit ihrer einfühlsamen Geschichte zu berühren und zu Tränen zu rühren. Trotz kleinerer Schwächen bietet der Roman eine bewegende Darstellung von Flucht und zeigt, was es bedeutet, zu überleben. Außerdem wird veranschaulicht, wie viele Gemeinsamkeiten Menschen teilen können, auch wenn sie ganz unterschiedliche Geschichten haben.
Insgesamt ist „Der Wind kennt meinen Namen“ damit aus meiner Sicht nicht Allendes stärkster Roman, aber definitiv eine Empfehlung für Fans. Für Neulinge empfehle ich jedoch einen anderen Einstieg in Allendes Bücherwelt, hebt euch dieses dann für später auf!