Erst wird ein junger Mann angespült, und dann strandet der Wal. Die dreihundertsieben Bewohner des Fischerdorfs St. Piran spüren sofort: Hier beginnt etwas Sonderbares. Doch keiner ahnt, wie existentiell ihre Gemeinschaft bedroht ist. So wie das ganze Land. Und vielleicht die ganze Welt. Weil alles mit allem zusammenhängt.
John Ironmonger erzählt eine mitreißende Geschichte über das, was uns als Menschheit zusammenhält. Und stellt die wichtigen Fragen: Wissen wir genug über die Welt, in der wir leben? Was brauchen wir, um uns aufgehoben zu fühlen? Und was würdest du tun, wenn alles auf dem Spiel steht? ... (Klappentext)
?????
"Am blassgrauen Himmel über Piran Head flogen an diesem Tag keine Flugzeuge. Auf dem Wasser waren keine großen Schiffe zu sehen. Keine Wanderer kamen über die Klippenwege. Kein Fahrzeug fuhr auf der Straße. Kein Strom floss durch die Kabel, kein Wasser durch die Leitungen. Die Radiosender sendeten keine Musik. Als die Dorfbewohner an diesem trüben Oktobertag erwachten, hörten sie nur das Schreien der Möwen, das Pfeifen des kalten Nordwindes und das Läuten zweier Kirchenglocken."
(S. 347)
Was war zuerst da - der Wal oder der angspülte nackte Mann?
In dem kleinen Fischerdorf St. Piran an der Küste Cornwalls geschahen zwei besondere Ereignisse an einem Tag und innerhalb weniger Minuten. Es wurde ein Wal ganz nah an der Küste gesichtet und es wurde ein Mann an den Strand gespült. Zwei Ereignisse und beide führten dazu, dass in diesem kleinen Dorf ab diesem Zeitpunkt nichts mehr ist wie es einmal war.
Wie Joe wird man in St. Piran angespült. Es ist ein malerisches Dörfchen, von der Außenwelt nahezu abgeschnitten und mit gerade mal 300 Einwohnern. St. Piran wimmelt nur so von skurrilen aber äußerst liebevollen Figuren und jeden einzelnen schließt man sofort ins Herz. Jeder hat seine Eigenheiten, jeder seine kleine Geschichte und jeder seinen Grund in diesem kleinen Fischerdörfchen zu bleiben, anstatt in eine der größeren Städte zu ziehen. Dann ist da nun auch Joe, der ihnen im wahrsten Sinne vor die Füße gespült wurde und das kleine Dörchen somit in Aufruhr versetzt.
Joe ist, bzw. war, Börsenanalytiker einer Bank und sorgte mit seiner letzten Analyse in seiner Abteilung für einen Supergau. Er flüchtete und gelangte so auf sehr spektakuläre Weise nach St. Piran.
Im Verlauf erfahren wir, in Form von Rückblenden, was sich ereignete, was für ein Typ Joe vorher war und erhalten auch Einblicke was passiert, wenn nur ein Zähnchen im großen Zahnrad des Systems abbricht und somit unweigerlich zum Kollaps führt - ein wahrer Schmetterlingseffekt, der zu Krieg, Hunger, Pandemien und so zum Ende der Zivilisation und somit auch der Menschlichkeit führt. Doch dies scheint diesmal nicht nur bloße Theorie zu sein und im Verlauf spitzt sich die Lage zu und macht auch vor dem abgelegenem Dörfchen St. Piran nicht Halt.
"Ein Mann in Irland klagte: >>Das schwarze Zeug ist alle.<<
>>Das Öl?<<, fragte Peter.
>> Kein Öl, du Pfeife. Guinness!<<"
(S. 338)
Es ist schwer dieses Buch in ein Genre einzuordnen. Es ist nicht nur ein Roman und nicht nur eine Dystopie.
In den mir bekannten Dystopien liegt die Welt bereits in Trümmern - hier ist man jedoch dabei wie alles seinen Anfang nimmt.
In den anderen Dystopien kämpft jeder gegen jeden, jeder konzentriert sich auf sein eigenes Überleben - hier sieht man wie es laufen könnte, wenn man sich die Menschlichkeit bewahrt und zusammenhält.
Und in anderen Dystopien läuft man durch ein Setting aus zerstörten Gebäuden mit beklemmender Atmosphäre, doch hier befindet man sich in einem malerischen Fischerdörfchen, mit weichem Sand unter den Füßen, weiß getünchten Häusern im Rücken und blickt auf das tiefblaue Meer.
Und dann ist da natürlich der Wal, der sich nah an der Küste aufhält und seine Fontäne in den regenverhangenen Himmel bläst. Dieser hat seine ganz eigene Aufgabe in diesem Roman.
Der Schreibstil ist klar und flüssig, mit ruhigen Tönen, wunderschönen Naturbeschreibungen und Wohlfühlatmosphäre. Das mag nun etwas kurios klingen, da es sich hier um ein beginnendes Endzeitszenario handelt, doch in diesem dystopischen Roman sind vor allem Zusammenhalt, Hoffnung und der Erhalt der Menschlichkeit die großen Themen. Hier entwickeln sich die Charaktere, ohne sich selbst zu verlieren.
">>Es gibt ein paar Dinge, auf die wir uns immer verlassen können, Joe.
Die Sonne wird morgen aufgehen. Wir sind alle sterblich. Und es wird immer Gesetze geben, die es zu befolgen gilt.<<"
(S. 299)
Man fühlt sich in diesem Roman/in dieser Dystopie so unheimlich wohl, spürt jedoch auch gleichzeitig die drohende Gefahr, welche in immer größer werdenden Schritten auf einen zukommt ... und trotzdem würde man nicht weg wollen, genau so wie die Bewohner von St. Piran auch.
Fazit:
Dieser dystopische Roman ist bedrückend, regt zum Nachdenken an und ist zugleich wunderschön und voller Hoffnung - quasi eine Wohlfühl-Dystopie.
Ich habe gelacht, ich habe auch das ein oder andere Tränchen verdrückt, habe mich nur zu gerne in diesem Fischerdörfchen aufgehalten und selbst ich Misanthropin, habe so ein kleines bisschen den Glauben an die Menschheit gewonnen.
Es ist eines jener Bücher, in das man ein- und nie wieder auftauchen möchte und welches einem lange in Erinnerung bleibt. Ein Lesehighlight sondergleichen!
© Pink Anemone (inkl. Leseprobe, Bilder, Rezept zum Buch und Autoren-Info)