Intensiver Roman über Identität und Schicksale
Judith W. Taschler beweist mit ihrem neuesten Roman einmal mehr, warum sie zu meinen liebsten Erzählerinnen zählt. Die Fortsetzung der Geschichte der Familie Brugger aus dem Buch „Über Carl reden wir morgen“ ...
Judith W. Taschler beweist mit ihrem neuesten Roman einmal mehr, warum sie zu meinen liebsten Erzählerinnen zählt. Die Fortsetzung der Geschichte der Familie Brugger aus dem Buch „Über Carl reden wir morgen“ ist ein eindringliches Porträt über familiäre Bindungen, gesellschaftliche Herausforderungen und die Kraft des persönlichen Engagements. Mit einer einfühlsamen und dichten Erzählweise schafft es die Autorin, mich unmittelbar in das Leben der Protagonistinnen hineinzuziehen und mich ihre Schicksale intensiv und kraftvoll miterleben zu lassen.
Im Mittelpunkt des Romans steht Elisabeth, die jüngste Tochter der Familie Brugger, die ihre Erlebnisse und die Geschichte ihrer Familie in einem monologisierenden Brief an Christina, die Tochter ihrer Nichte, festhält. Besonders fesselnd ist Elisabeths Weg als Frau in der Medizin, der sie zu Themen führt, die in ihrer Zeit und Umgebung tabuisiert sind. Sie engagiert sich mit bemerkenswertem Mut und auch für Frauen, die ungewollt schwanger werden und in ihrer Verzweiflung auf gefährliche „Engelmacherinnen“ angewiesen sind. Judith W. Taschler geht dabei mit großer Sorgfalt und Tiefe auf die schwierigen gesellschaftlichen Umstände ein, ohne je den emotionalen Kern der Geschichte zu verlieren.
Doch nicht nur Elisabeths beruflicher Weg wird beleuchtet. Der Roman zeigt auch die vielen Facetten des Lebens innerhalb der Familie Brugger, die von Geheimnissen und unerwarteten Wendungen geprägt sind. Diese familiären Verstrickungen und die Frage nach der Wahrheit lassen mich immer tiefer in die Geschichte eintauchen und sorgen für eine durchgehende Spannung.
Judith W. Taschler gelingt es, mit einem feinen Gespür für Sprache und Atmosphäre eine Welt zu erschaffen, die nicht nur glaubwürdig, sondern auch packend ist. Die Geschichte entfaltet sich mit einer solchen Intensität, dass man als Leserin die Entwicklungen beinahe hautnah miterlebt. In ihrem Monolog springt Elisabeth zuweilen in der Zeit ohne dass dies immer kenntlich gemacht würde. Mit Aufmerksamkeit gelingt das Lesen jedoch gut. Das Buch ist gut verständlich ohne die Vorgeschichte aus „Über Carl reden wir morgen“ gelesen zu haben. Beides bewegende Bücher.