Von der großen Vermissung
"Himmelwärts" von Karen Köhler ist ein bewegender und poetisch erzählter Roman, der sich mit den Themen Trauer, Verlust und der Suche nach Heilung auseinandersetzt. Die Hauptrollen in diesem Buch spielen ...
"Himmelwärts" von Karen Köhler ist ein bewegender und poetisch erzählter Roman, der sich mit den Themen Trauer, Verlust und der Suche nach Heilung auseinandersetzt. Die Hauptrollen in diesem Buch spielen zwei junge Mädchen namens Toni und Yimyum. Toni, die den Tod ihrer geliebten Mutter verkraften muss und sich auf eine innere Reise begibt, um Frieden zu finden auf der einen Seite. Auf der anderen ihre beste Freundin YumYum, die einfach da ist und sie stützt. Mit einer sensiblen und bildgewaltigen Sprache gelingt es Karen Köhler, die Gefühle von Schmerz und Hoffnung eindringlich spürbar zu machen und eine tiefgreifende Reflexion über das Leben und das, was jenseits davon liegt, zu erschaffen.
Zitat: „Das kann sich wirklich niemand vorstellen, wie man eine tote Mutter vermissen kann, außer du vermisst eben eine tote Mutter. Die Vermissung ist größer als das Universum. Der Tod ist größer als das Universum. Der Tod ist das Summen zwischen den Atomen. Wenn du ihn einmal gehört hast, dann hörst du ihn immer.“ (Karen Köhler & Bea Davies: Himmelwärts. Seite 56)
Schon vom ersten Moment an als ich von dem Buch und dessen Inhalt hörte, wusste ich, dass ich es unbedingt lesen wollte. Es ist der erste Kinderroman der Autorin und ich hoffe, dass es nicht der letzte sein wird. Das Buch hat mich an vielen Stellen tief berührt und die große „Vermissung“ war deutlich fühlbar.
Die Autorin und die Illustratorin Bea Davies:
Karen Köhler wurde in Hamburg geboren und hatte ursprünglich den Traum, Kosmonautin zu werden. Sie erlernte Fallschirmspringen und studierte Schauspiel an der Hochschule für Musik und Theater in Bern. Nach zwölf Jahren Arbeit am Theater widmete sie sich dem Schreiben und veröffentlicht seither Theaterstücke, Drehbücher, Hörspiele, Essays, Erzählungen und Romane. Stipendien und künstlerische Aufenthalte führten sie unter anderem nach Tirana, Reykjavik, Marseille, London und New York. Heute lebt sie in St. Pauli. Ihr Erzählband "Wir haben Raketen geangelt" erschien 2014 im Hanser Verlag und wurde in mehrere Sprachen übersetzt, ebenso wie ihr Roman "Miroloi" von 2019. Sie ist regelmäßige Autorin für das ZEITmagazin. Seit 2008 schreibt sie auch für das Kinder- und Jugendtheater, und 2024 erschien mit "Himmelwärts" ihr erster Kinderroman.
Bea Davies (geboren 1990 in Italien) lebt seit 2012 in Berlin und arbeitet als freie Illustratorin und Comiczeichnerin für Zeitschriften und Buchverlage. Sie absolvierte ihr Studium in Illustration und Visueller Kommunikation an der School of Visual Arts in New York sowie an der Kunsthochschule Weißensee in Berlin. 2016 wurde sie mit dem Förderpreis der Comic Invasion Berlin und dem Mart Stam Stipendium ausgezeichnet. 2018 wurde sie in die Studienstiftung des Deutschen Volkes aufgenommen. Ihr erstes Kinderbuch "Brummps! – Sie nannten ihn Ameise" (Text: Dita Zipfel) erschien 2022 bei Hanser und erhielt zahlreiche Auszeichnungen. 2024 illustrierte sie das Kinderbuch "Himmelwärts" mit einem Text von Karen Köhler.
Inhalt:
„In einer sternenklaren Sommernacht funken Toni und ihre beste Freundin YumYum mit ihrem selbst gebastelten kosmischen Radio in den Himmel, um Kontakt zu Tonis verstorbener Mutter aufzunehmen. Toni hat große Vermissung, und Weltall-Expertin YumYum hat Experimentierlust. Bestens ausgerüstet – vor allem mit Snacks – erleben die beiden eine Nacht voller Überraschungen.“ (Klappentext)
Gedanken zum Buch:
Auf dem Cover sehen wir den Handlungsort der Geschichte. Ein Zelt bei Dunkelheit im Garten, in dem sich augenscheinlich zwei Personen aufhalten. Im Hintergrund flitzt ein Himmelskörper durch die Nacht, worüber wir im Buch auch noch mehr erfahren. Das Cover hat mit seiner Farbgebung etwas Melancholisches, was auch die Stimmung im Buch sehr gut widerspiegelt. Das Cover schafft es, die zentrale Thematik – den Aufbruch und die Sehnsucht nach dem „Himmelwärts“ – subtil zu vermitteln, ohne zu viel vorwegzunehmen.
Zitat: „Es war einmal da war die Schwerkraft noch nicht so schwer. Da war unser Lachen noch ohne das Summen zwischen den Atomen.“ (Karen Köhler & Bea Davies: Himmelwärts. Seite 30)
Die Illustrationen in Himmelwärts von Bea Davies, sind mehr als nur eine visuelle Begleitung der Erzählung – sie bereichern und vertiefen die Geschichte auf eine besondere Weise. Jede Illustration scheint das zentrale Thema der jeweiligen Situation feinfühlig zu umkreisen, indem sie den emotionalen Kern der Handlung einfängt. Besonders eindrucksvoll sind auch die Momente, in denen die Bilder nicht nur das Gelesene unterstützen, sondern fast wie ein eigener Kommentar zur Handlung wirken. Insgesamt lässt sich sagen, dass die Zeichnungen eine wunderbare Erweiterung der Erzählung darstellen. Sie sind sowohl zurückhaltend als auch tiefgründig und schaffen es, den Leser auf eine leise, aber kraftvolle Weise zu berühren.
Der Sprachstil in Himmelwärts ist teils poetisch und zugleich prägnant. Karen Köhler gelingt es, mit wenigen Worten eine besondere Atmosphäre und starke Emotionen zu erzeugen. Ihre Erzählweise ist einfühlsam und oft intensiv, was die Geschichte ebenso zugänglich wie nachdenklich macht. Die Autorin wechselt dabei zwischen der Erzählung des Abends und den Tagebucheinträgen oder Notizen von Toni hin und her. Es fällt einem leicht, sich in die einzelnen Situationen und Geschehnisse hineinzuversetzen. Ich empfinde die im Buch verwendete Sprache und Ausdrucksweise für das Alter der Mädchen als sehr passend. Man konnte die Emotionen realistisch nachfühlen und ich fand sie sehr zutreffend beschrieben. Die Wortschöpfungen waren immer wieder ein Genuss – hier nur ein paar geniale Beispiele: Denkmuskelkater, Kosmostaxi und Mitfahrplanet, Pommesmagen und nicht zu vergessen die sternschnuppigste Sternschnuppe. Insgesamt besticht das Buch durch einen tiefgründigen Erzählstil, der lange nachhallt.
Zitat: „Ich lasse die Bären in meine Augen rein, lasse den ganzen Nachthimmel in mich sinken, da überrollt mich eine Vermissungswelle und ich weiß nicht, wie ich sie surfen soll. Mein innerer Elefantenrüssel schlenkert ganz ungelenk vor sich hin. Meine Ohne-Mama-Muskeln strengen sich richtig an, aber: Da ist ein Loch in der Welt, das genau Mamas Konturen hat. Es zieht ganz schlimm in meiner Brust, fast höre ich ihre Stimme, fast riech ich sie, fast sehe ich sie vor mir. Fast meine ich, sie umarmt mich und da glimmt ein kleines bisschen Hoffnung, dass YumYum recht hat und Mama nicht einfach weg sein kann, weil im Universum keine Energie verloren geht. Und ich höre mich flüstern: »Mama wenn es dich da draußen irgendwie noch gibt, als Bärin oder Schreibtischlampe oder was weiß ich, dann gib mir ein Zeichen! Bitte. Bitte. Bit…«“ (Karen Köhler & Bea Davies: Himmelwärts. Seite 45)
Der Humor und die kreativen Wortschöpfungen in dieser Geschichte sorgten ebenso für ein herzhaftes Lachen, wie die authentischen Situationen, die Eltern nur zu gut kennen. Gleichzeitig berührten mich die Szenen voller Vermissen und Trauer, die in jedem Kapitel spürbar sind. Der Schmerz über den tragischen Verlust der Mutter zieht sich wie ein roter Faden durch das Buch. Ein besonderes Wort habe ich für mich neu mitgenommen: „die Vermissung“ – ein überwältigendes Gefühl der Sehnsucht nach einem Menschen, von dem man weiß, dass er nicht zurückkehren wird. Das Vermissen in seiner höchsten Form.
Fazit:
Himmelwärts ist ein ergreifendes Kinderbuch, dass sich mit einem schweren und gleichzeitig wichtigen Thema beschäftigt. Der Leser erlebt eine lange Nacht, in der Trauer und Freude untrennbar miteinander verbunden sind. Besonders berührend ist die tiefe und hingebungsvolle Freundschaft der beiden Mädchen. Ihre Verbundenheit zeigt sich darin, dass YumYum Toni ohne Worte versteht und ein gutes Gespür dafür hat, was ihre Freundin gerade braucht.