Deutsch-deutsche Geschichte zum Anfassen
Milla streift durch den Thüringer Wald und findet einen überwucherten Eingang zu einem Keller. Ihre Neugier ist geweckt und schnell stellt sich heraus, dass dieser Keller zum einstigen Hotel Waldesruh ...
Milla streift durch den Thüringer Wald und findet einen überwucherten Eingang zu einem Keller. Ihre Neugier ist geweckt und schnell stellt sich heraus, dass dieser Keller zum einstigen Hotel Waldesruh gehört. Ein Ort, der mit einer faszinieren und zugleich furchtbaren Geschichte belegt ist.
Milla begibt sich auf die Suche nach Angehörigen des Hotels und findet schließlich Christine, deren Zuhause das Hotel einst gewesen ist. Doch Idylle sieht anders aus, wie beide Frauen feststellen müssen.
Während Christine von den Erlebnissen damals erzählt, heilen ihre Wunden und Milla lernt, mit der deutsch-deutschen Geschichte umzugehen…
Wow, was für ein Knaller !
Dieses Buch ist Geschichte zum Anfassen, denn auch ich trage eine deutsch-deutsche Famili3ngeschichte mit mir. Umso neugieriger bin ich natürlich auf diese Erzählung gewesen und muss sagen, dass ich mir in meinen kühnsten Träumen so ein fesselndes, ausdrucksstarkes und aufwühlendes Buch in keinster Weise hätte vorstellen können.
Kati Naumann zeichnet tolle Darsteller, die mich sofort von sich einnehmen und mich mit auf die Reise durch die jüngste Geschichte nehmen, als Deutschland noch von dicken Mauen (nicht nur in den Köpfen) geteilt war und so das Leben "drüben" von politischer Seite vorbestimmt.
Dressels Heimatverbundenheit finde ich hier sehr schön formuliert und dargestellt, ihre Liebe zur Heimat, die trotz aller Widrigkeit ihr Zuhause ist, spürt man aus jeder Zeile. Doch genau dieser Stolz auf ihr Zuhause ist es, der ihr Leben auch gleichzeitig bedroht und sie immer tiefer in den Strudel der DRR-Willkür zieht, obwohl sie es gar nicht wollen.
Mehr als einmal habe ich mich gefragt, ob und wie man das alles ertragen kann, was man den Dressels an "Bestrafung" auferlegt hat. Es ist ein systematisches Abriegeln vom normalen Leben, was man hier als Leser erlebt und ich habe ab und an das Buch zur Seite gelegt, weil ich mich über diese Sanktionen so sehr aufgeregt habe.
Auch die Schüsse nachts im Wald - das grenzt schon als Folter . Keiner weiß, ob sich ein Waldtier verirrt hat, oder ob man draufgehalten und einen Republikflüchtling erschossen hat. Diese Ungewissheit nagt auch an meinen Nerven und mach mich mürbe. Harter Tobak, den die Autorin hier verarbeitet und in ihren Roman mit einfließen lässt - doch es ist ja wirklich so passiert. Die Grenzer haben auf ihre eigenen Leute geschissen - unglaublich, aber leider wahr !
Die Wechsel zwischen den Zeitebenen geben viele Einblicke in die Leben diesseits und jenseits der Grenze frei, ermöglichen mir als Leser eine vollkommene Identifizierung mit den Figuren und lassen so deutsch-deutsche Geschichte lebendig werden. Die Autorin zeigt auf, was Erinnerungen für den Einzelnen bedeuten - der eine kann nicht mit, der andere nicht ohne sie leben und diese innere Zerrissenheit wird hier sehr deutlich von den beiden Schlüsselfiguren gelebt.
Für mich ein Buch, das mir meine eigene Familiengeschichte wieder ein Stück näher bringt - ein Roman, der poetisch und doch aufrüttelnd zugleich ist.
Herzlichen Dank an den Verlag, der mir dieses Leseexemplar kostenfrei über NetGalley zur Verfügung gestellt hat. Diese Tatsache hat jedoch nicht meine ehrliche Lesermeinung beeinflusst.