Der Tod macht Überstunden
Das Buch steht seit Jahren in meinem Bücherschrank und ich hatte keine Ahnung, was ich da verpasst habe. Es beginnt eigenartig. Da schreibt jemand davon, dass er Seelen einsammle und ihm manchmal auch ...
Das Buch steht seit Jahren in meinem Bücherschrank und ich hatte keine Ahnung, was ich da verpasst habe. Es beginnt eigenartig. Da schreibt jemand davon, dass er Seelen einsammle und ihm manchmal auch die Seelen entweichen und er den Lebenden ein zweites oder drittes Mal begegne.
Erst nach ein paar Seiten hatte ich verstanden, dass hier der Tod der Erzähler ist. Er gibt sich nicht grausam, sondern verständnisvoll, achtsam, anständig. Er kümmert sich um die Seelen der Toten. Die Körper gehen einer anderen Zukunft zu, doch die Seelen sollen gerettet werden.
Das Buch beginnt Ende der 1930er Jahre in Bayern. Die Nationalsozialisten üben die absolute Macht aus und schikanieren alle, die nicht in ihrem Sinne handeln.
Die kleine Liesel war zum ersten Mal beim Tod ihres Bruders mit dem Tod in Berührung gekommen. Sie war auf dem Weg, mit ihrem Bruder gemeinsam zu einer Pflegefamilie gebracht zu werden, da die Mutter kränklich war und nicht für sie sorgen konnte. Ihr Bruder starb während der Zugfahrt.
Familie Hubermann nimmt sich der 10jährigen Liesel an. Frau Hubermann beherrscht das Fluchen in allen Tonlagen, die kleine Liesel bezeichnet sie als „Saumensch“ und auch sonst ist das Leben mit ihr nicht ganz einfach. Dennoch besitzt sie unter der rauen Schale einen ganz weichen Kern. Ganz anders ihr Mann! Herr Hubermann wird zur Vertrauensperson in Liesels Leben, er sitzt nachts an ihrem Bett, wenn sie die Albträume überkommen und er bringt ihr schließlich auch das Lesen bei, auch wenn sie ihre Unterrichtsstunden in den Keller verlegen müssen, weil „Mama“ das Dazwischenreden und Fluchen nicht lassen kann. Dennoch, das Lesen ist ein schwieriges Unterfangen und fällt Liesel nicht leicht. Mit dem Handbuch für Totengräber hatte sie sich allerdings auch keine leichte Lektüre ausgesucht. Das war das Buch, das sie nach der Beerdigung ihres Bruders auf dem Friedhof fand und mitnahm. Seitdem bezeichnete sie sich selbst als Bücherdiebin.
Eines Tages wacht sie neben einem fremden Mann auf. Es handelt sich um den Juden Max Vandenberg, einen 24-jährigen, dessen Vater mit Herrn Habermann zusammen im 1. Weltkrieg gekämpft hatte und dort gefallen war. Herr Habermann hatte der Familie einst seine Hilfe zugesagt und jetzt wird das Versprechen eingelöst. Max zieht in den Keller und die Familie beginnt ein Doppelleben. Nach außen hin ist alles so, wie es immer war, in der Familie jedoch sind es jetzt plötzlich 4, die miteinander klarkommen müssen. Max richtet sich im Keller zwischen alten Lumpen und Farbeimern ein und wird für Liesel zu einer weiteren Bezugsperson. Seine lange Krankheit schweißt sie zusammen.
Aber natürlich ist da auch noch Rudi, ihr Freund in der Schule, auf dem Sportplatz, beim Spielen. Mit ihm verbindet sie eine enge Freundschaft und die beiden gehen durch Dick und Dünn miteinander. Gerne steigen sie durch ein Fenster in das Haus des Bürgermeisters ein und bedienen sich in der Bibliothek der Frau des Bürgermeisters. Aus diesen Büchern entsteht Liesels Liebe zu Worten, die später dazu führt, dass sie auch selbst zur Feder greift.
Es ist die Zeit, als der Tod Überstunden machen muss, er wird überall gebraucht, denn überall ist Krieg und überall sterben Menschen. Auch vor Molching macht der Krieg nicht halt. Doch an der mittlerweile 13-jährigen Liesel hat der Tod einfach ein besonderes Interesse und ihr Schicksal begleitet er über die ganze Zeit der Kindheit hinweg.
Im Buch geht es sehr viel um Menschlichkeit. Wie verroht können Menschen werden? Was ist der Wert von Freundschaft? Es geht aber auch um Mut und um das Einstehen für seine Überzeugungen. Ganz besonders war in diesem Zusammenhang der eingeschobene Teil von Max Buch, das er im Keller für Liesel schrieb: „Die Worteschüttlerin“.
"Die Bücherdiebin" war für mich ein wertvolles Buch, das ich gerne mit voller Punktzahl weiterempfehle.