Allgemeines:
Titel: In dieser ganz besonderen Nacht
Autor: Nicole C. Vosseler
Verlag: cbj (25. Februar 2013)
Genre: Fantasy
ISBN-10: 357015534X
ISBN-13: 978-3570155349
ASIN: B00AM5HTNY
Seitenzahl: 576 Seiten
Preis: 8,99€ (Kindle-Edition)
14,99€ (Gebundene Ausgabe)
Inhalt:
"Eingehüllt in das sanfte Strömen von Dunst und Nebel, in seinem Duft nach grünen Moos und sonnengetrocknetem Treibholz, schloss ich die Augen und ließ mich von dem zarten Lufthauch seiner Finger in den Schlaf streicheln."
Eine hinreißend romantische Geistergeschichte vor der beeindruckenden Kulisse San Franciscos
Nach dem Tod ihrer Mutter muss Amber, die in einer deutschen Kleinstadt gelebt hat, nach San Francisco ziehen – zu ihrem Vater, den sie kaum kennt. Sie fühlt sich einsam und verlassen. Eines Abends begegnet sie dort in einem leer stehenden Haus Nathaniel, einem seltsam gekleideten Jungen. Er scheint der Einzige zu sein, der sie versteht. Aber er bleibt merkwürdig auf Distanz. Als Amber den Grund dafür erfährt, zieht es ihr den Boden unter den Füßen weg: Nathaniel stammt aus einer anderen Zeit und die beiden können niemals zusammenkommen. Doch in einer ganz besonderen Nacht versuchen die beiden das Unmögliche …
Bewertung:
"Für all die verwaisten Seelen dieser Welt, die darum kämpfen, wieder heil und ganz zu werden."
Schon mit der Widmung hatte mich dieses Buch gepackt, welches auf eine gewisse Weise wunderschön, todtraurig und liebevoll aufbauen ist, wie es nur ganz wenige Geschichten können. Kennt ihr Bücher, die man einfach nicht aus der Hand legen kann und bei deren Lektüre einem durchgängig ein verträumtes "Hach" auf den Lippen liegt? Diese Geschichte ist genau so ein Buch. Auch wenn ich von Nicole Vosseler noch kein einziges Buch gelesen und dieses auch nur auf einem Flohmarkt mitgenommen habe, werde ich mir unbedingt mehr von dieser Autorin besorgen!
Das Cover ist ganz in einem warmen Blau gehalten, welches in der Mitte durch den großen Vollmond aufgehellt wird, vor dem sich zwei Silhouetten ausmachen lassen, die sich an der Hand halten und langsam zu verwischen scheinen.. Unter dieser angedeuteten Szene schwebt der Titel in verschnörkelten Lettern und komplettiert dieses schöne Bild. Auch wenn ich die Gestaltung wirklich wunderschön finde, fehlt dem Cover meiner Meinung nach das gewisse Etwas. Titel und Klapptext passen hingegen wunderbar. Was mir an der Gestaltung zusätzlich noch sehr zugesagt hat, sind die relativ kurzen Kapitel und die Unterteilung in 3 Teile. Auch die Zitate, die auf kunstvolle Art und Weise passend mit eingewebt werden, haben den Gesamteindruck angenehm unterstrichen.
Erster Satz: „Wenn man stirbt, so heißt es, zieht das ganze Leben an einem vorbei.“
So steigt Amber in eine Art Prolog ein, in dem sie dem Leser von ihrem kommenden Tod berichtet. Ganz schonungslos werden wir hier also gleich in den ersten Sätzen vor vollendete Tatsachen gestellt, was der Spannung jedoch keinen Abbruch tut. Im Gegenteil: man ist nur noch angespannter und will wissen, wie wohl der Weg bis zum Ende aussehen mag. Der wirkliche Beginn zeiht sich dann ein wenig hin und konzentriert sich vor allem auf die Trauer, die Wut und die Angst, die Amber angesichts des Umzugs nach San Francisco empfindet. Grundsätzlich spricht ja nichts dagegen, in die aufregende Stadt in den USA zu ziehen, doch wohl nicht unter diesen Umständen: Ambers Mutter ist gerade erst an Krebs verstorben und schon verliert sie auch noch ihr gewohntes Umfeld, im Zuge ihres Umzugs zu ihrem Vater, den sie gar nicht kennt, auf einen völlig neuen Kontinent. Nur langsam findet sie Anschluss und fühlt sich sehr einsam angesichts des noch schmerzenden Verlusts ihrer Mutter und dem Zusammenleben mit einem Mann, der zwar ihr Vater ist, den sie aber eigentlich gar nicht kennt.
"Das ganze Weltall ist voll schwarzer Löcher, die gigantische Sterne einsaugen und verschwinden lassen können. Aber wenn man im Alltag selbst mal eines brauchen könnte, ist natürlich nie eines da."
Als Amber dann eines abends vor einem Übergriff einer kriminellen Bande fliehen muss, stößt sie auf eine alte, verlassene Villa und trifft dort Nathaniel. Dass diese Begegnung ihr ganzes Leben verändern soll, weiß sie noch nicht, als sie über die Schwelle des Hauses tritt, doch schon bei ihrer ersten Begegnung ahnt sie, dass er ein dunkles Geheimnis birgt: obwohl er aussieht wie ein normaler Junge, stammt er aus der selben Zeit wie das Haus, das ihm Obdach bietet - dem 19. Jahrhundert. Obwohl die beiden in zwei völlig verschiedenen Welten leben, kommen sie sich in kurzer Zeit näher als andere Menschen in ihrem ganzen Leben und je näher Amber ihn kennenlernt, desto näher kommt sie durch ihn auch wieder dem Leben - eigentlich eine seltsame Ironie, wo er doch tot ist...
"Zeit ist......
zu langsam für die, die warten,
zu flüchtig für die, die sich fürchten,
zu lang für die, die trauern,
zu kurz für die , die sich freuen.
Aber für die, die lieben,
ist Zeit Ewigkeit."
-Henry Van Dyke-
Erzählt wird aus Ambers Sicht aus der Ich-Perspektive, es gibt aber auch ab und an Passagen aus der Sicht Nathaniels, welche durch kursiv geschriebene Abschnitte gekennzeichnet sind. Auf diese Art und Wiese bekommen wir mit, wie sich Amber durch das Treffen mit Nathaniel verändert und wie sie langsam immer mehr ins Leben zurückkehrt. Es ist überraschend berührend und zu keinem Zeitpunkt seltsam oder unnatürlich, dass sich Amber in Nathaniel verliebt, auch wenn er eigentlich ein Geist und für sie somit unerreichbar ist. Die vielen Gefühle, die aus jeder Ritze des Buches zu tropfen scheinen, machen das Lesen zu einer sehr mitreißenden und intensiven Erfahrung, die wirkliche Stärke dieser Geschichte, die mich überrascht hat, ist aber die Handlung, welche sich überraschenderweise nicht wie viele andere Romantasy-Romane ausschließlich von der Liebesgeschichte beeinflussen lässt, sondern ist auffallend gut durchdacht ist. So werden immer wieder neue Aspekte mit eingebracht, die die Handlung komplettieren und weiter entwickeln, sodass durch diese Dynamik verhindert wird, dass das Buch kitschig wird. Gerade die Mischung aus traurigen und witzigen Szenen macht auf eindringliche Art und Weise klar, wie nahe Trauer und Glück beieinander liegen.
"Schattengleich schwebte er auf mich zu und sah dabei doch schwer und massiv aus. Wie das Wechselspiel von Licht und Schatten Knochen, Muskeln und Fleisch herausmodellierte, wirkte er auf mich durch und durch lebendig."
Durch Nicole C. Vosselers atmosphärische Sprache lebt diese traurige, melancholische Liebesgeschichte voller Seele immer wieder aufs Neue auf. Auch wenn der Schreibstil an manchen Stellen zu ausschweifend wird, sodass man sich in unnötigen Details verliert, sorgt die bilderreiche und ausführliche Art, Situationen aufzustellen dafür, dass wir in alle Situationen gut herein finden und auch abstrakte Gefühle gut nachempfinden können. Vor allem das Setting San Franciscos lässt sie bildreich vor den Augen ihrer Leser auferstehen. Im Nachwort ist zu lesen, dass die Autorin das Setting auf einer Reise für sich entdeckt hat. Die vielen ausführlichen Schilderungen der Stadt und die vielen Handlungsorte, die fast an eine Sight-Seeing-Tour erinnern, lassen auf eine gute Recherchearbeit schließen und weckten in mir den Wunsch, auch einmal diese faszinierende Stadt zu besuchen: einmal selbst den Strand Richtung Golden Gate Bridge entlang laufen, ins Getümmel am Fisherman's Wharf eintauchen und mit einem der Cable Cars über die Stadt düsen.
"... Wie eine heranwogende Meereswelle war es, wenn sie sich dem Haus näherte, ein tiefes, dunkles Rauschen, das in ein helles Schäumen und Sprudeln überging, und dann konnte ich meist schon hören, wie sie durch den Korridor rannte..."
Neben dem Stil lebt die Geschichte auch von den Charakteren. Amber ist eine wunderbare Protagonistin, die durch ihren Verlust gleich als emotionaler und authentischer Charakter eingeführt wird. Wir sehen zu, wie sie lernen muss, mit dem Tod ihrer Mutter umzugehen, während sie die Einsamkeit in dieser großen, anonymen Stadt plagt. Ihre langsam entstehende Beziehung zu ihrem Vater und neue Freundschaften helfen ihr dabei, endlich ihrer Trauer auf den Grund zu gehen.
„Ich bin tot, Amber. Lange schon. Eine verlorene Seele. Dazu verdammt, als Schatten unter euch Lebenden gefangen zu sein. Und ich weiß nicht einmal, weshalb.“
In Nathaniel findet sie zunächst ein wandelndes Mysterium, das ihre Neugierde weckt und dem sie auf den Grund gehen will. Wie kommt es, dass er seltsame Klamotten trägt, seine Ausdrucksweise manchmal von der Norm abweicht und sie sich nicht berühren können. Als sie dem geheimnisvollen, einfühlsamen und sensiblen jungen Mann immer näher kommt, findet sie heraus, dass er tot ist und als Geist auf dieser Welt festgehalten wird. Doch warum fühlt sie sich von dem gutaussehenden Typen trotzdem angezogen und hat ihre Beziehung überhaupt eine Chance? Die wachsende Beziehung zwischen Amber und Nathaniel bildet das Herzstück des Buches, auch wenn sie nicht die gesamte Handlung dominiert. Überraschend glaubhaft ist es der Autorin gelungen, eine Beziehung zwischen Mensch und Geist darzustellen. Ein Problem: die beiden können sich nicht einmal berühren. Nur in einer ganz besonderen Nacht, der Nacht auf Allerheiligen, sind die Seelen der Verstorbenen präsenter, wodurch Nathaniel Amber auch körperlich näher kommen kann. Die Konsequenzen dieser ganz besonderen Nacht sind jedoch für beide nicht vorhersehbar...
"Ich wollte, ich musste ihn sehen; ich musste, wollte ihn so vieles fragen.
Musste.
Wollte.
MUSSTE."
Auch die Nebencharaktere sind lebendig und authentisch dargestellt und bestechen vor allem durch leise und ruhige Töne. Vor allem Ambers Vater und ihre neuen Freunde, die auch Geister sehen können, haben es mir angetan. Auf wundervolle Art und Weise wird beschrieben, wie fünf Personen, die eigentlich gar nichts gemeinsam haben, zu einer funktionierenden Einheit werden, vereint durch das Geheimnis, das sie teilen. Der punkige Asiat Matt, das dunkelhäutige, gutaussehende Sportler-Ass Shane, das zunächst abweisend wirkende Goth Girl Abby und die quirlige Holly, die einen kleinen Esoterik-Laden betreibt und sich nicht um gesellschaftliche Konventionen schert können alle die Geister von Verstorbenen sehen und stehen Amber zur Seite.
Natürlich klingt schon von Anfang an ein wenig vom Ende mit, was die Autorin schlussendlich dann aber daraus gemacht hat, hat mir sehr gut gefallen. Mit einer Art bittersüßem Kompromiss gibt sie dieser Geschichte um die erste Liebe, das Loslassen von Menschen, die man liebt und eigenen Erfahrungen mit dem Tod einen wunderschönen und runden Abschluss.
„Du leuchtest“, flüsterte ich erstaunt und schwenkte staunend meine Hand sacht hin und her. „Das bist du“ raunte er mir ins Ohr. „Du lässt mich leuchten.“
Fazit:
Diese melancholische Liebesgeschichte voller Seele ist auf eine ganz gewisse Art wunderschön, todtraurig und liebevoll aufbauend, wie es nur ganz wenige Geschichten können. Ein faszinierender Schreibstil, viele interessante Ideen und eine tolle Protagonisten-Auswahl lässt dieses Buch aufleben und zu etwas ganz Besonderem werden.