Profilbild von Wordworld_Sophia

Wordworld_Sophia

Lesejury Star
offline

Wordworld_Sophia ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Wordworld_Sophia über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 17.12.2024

Geheimnisvoll, verschnörkelt, märchenhaft und auf genüssliche Weise kompliziert

We hunt the Flame
0

„We Hunt the Flame“ klang nach einem perfekten Buch für mich: Orientalisches High-Fantasy-Setting, Enemies-to-Lovers-Trope und eine spannende Handlung mit Geheimnissen, Magie, Flüchen und gezückten Dolchen... ...

„We Hunt the Flame“ klang nach einem perfekten Buch für mich: Orientalisches High-Fantasy-Setting, Enemies-to-Lovers-Trope und eine spannende Handlung mit Geheimnissen, Magie, Flüchen und gezückten Dolchen... So wird es wohl keinen wundern, dass ich mich sehr auf die gehypte Geschichte gefreut habe, die Anfang Dezember zum ersten Mal auf Deutsch erschienen ist. Leider habe ich dann aber ewig gebraucht, um das Buch zu beenden und mich dann nochmal genauso lang darum gedrückt, eine Rezension zu schreiben - beides kein gutes Zeichen, die zeigen, dass wie so oft bei vielversprechend klingenden Büchern meine Erwartungen zu hoch waren...

Bevor ich erkläre, was genau mich leider weniger überzeugen konnte als gehofft, wie immer erst noch ein paar Worte zur Gestaltung. Das Cover von "We Hunt the Flame" ist ein wahrer Hingucker und wurde zum Glück von der Originalausgabe übernommen. Die Farbpalette aus Blau- und Goldtönen spiegelt die geheimnisvolle und orientalisch inspirierte Atmosphäre des Buches perfekt wider. Zu sehen ist die Silhouette einer Jägerin mit wehendem Umhang und Köcher voller Pfeile vor einer kunstvoll stilisierten Landschaft mit einer mondbeschienenen Wüste und einer Stadt auf einem Berg. Die arabisch inspirierten Ornamente des Titels runden das Design harmonisch ab und fangen die Stimmung des Romans gut ein. Die edle Gestaltung setzt sich im Buchinneren fort: Eine Karte in der hinteren Buchlasche lädt dazu ein, das Land Arawiya zu erkunden, während die Charakter-Artworks in der vorderen Buchlasche die Protagonisten zum Leben erwecken.

Erster Satz:" Menschen lebten, weil sie tötete."

Gleich vorweg mein größtes Problem mit der Geschichte: Die Handlung konnte mich zu keinem Augenblick wirklich packen oder in den Bann ziehen. Versteht mich nicht falsch, ich habe sie nicht uninteressiert verfolgt und auch gerne bis zum Ende gelesen, aber für mich gab es da einfach keinen Sog, keine Magie zwischen den Seiten, die mich gefesselt hat. Das hat zum einen damit zu tun, dass die Rahmenhandlung erst nach etwa 200 Seiten startet und erst ab der Ankunft der beiden Protagonisten auf der Insel Sharr Fahrt aufnimmt. Zum anderen lag es daran, dass sobald die Handlung dann richtig startet, vieles beinahe nebenbei zu geschehen scheint. Szenen, die eigentlich dramatisch und aufregend sein sollten, wie beispielsweise die Durchquerung des Arz, die Überquerung der Baransee, der Kampf mit diversen Monstern oder sogar der Tod einer Hauptfigur, werden wahnsinnig schnell und unspektakulär abgehandelt und verlieren dadurch an Wirkung. So baute sich trotz durchaus vorhandener Spannungsmomente für mich kein wirklicher Spannungsbogen auf und ich verfolgte das Geschehen bis zum Ende eher distanziert.

"Sie hatte ihn nicht ansehen können, also hatte sie die Augen geschlossen. In der Finsternis war alles möglich. Baba war am Leben, Umm war wieder sie selbst, Magie existierte nach wie vor. Aber man konnte die Augen nicht ewig geschlossen halten, es sei denn, man war tot. Und die Toten träumten niemals."

Auch mit den Figuren hatte ich leider so meine Probleme... Sowohl Zafira als auch Nasir blieben mir zunächst zu schwer greifbar, obwohl abwechselnd aus der Sicht der beiden erzählt wird. Zwar sind sie mir mit der Zeit näher gekommen, so richtig fassen konnte ich allerdings beide bis zum Schluss nicht. Die Autorin gibt sich große Mühe, ihre beiden Hauptfiguren vielschichtig, ambivalent und nicht leicht zu durchschauen aufzuziehen, was ich normalerweise auch großartig finden würde. Leider gelingt ihr das aber etwas zu gut, sodass mir die beiden in ihrer Charakterisierung trotz spannender Ansätze einfach zu schwammig waren und ich vieles auch einfach nicht verstanden habe. Seien es Motive für gewisse Handlungen oder Beziehungen und Gefühle für Nebenfiguren - richtig angekommen, was die beiden nun wirklich denken und fühlen ist bei mir leider nicht. Auch die Love Story war für mich teilweise etwas zu sehr aus der Luft gegriffen. Es gab zwar einige Momente, in denen es zwischen den beiden geknistert hat, da sie allerdings in einer Gruppe reisen und die Handlung stark im Vordergrund steht, kommen sich die beiden nicht wirklich nahe. Die Nebenfiguren, wie der charismatische Altair oder der mysteriöse Benyamin bringen zwar Leben und Humor in die Geschichte, doch auch hier hätte ich mir mehr Tiefe gewünscht und besonders die emotionale Verbindung zwischen den Figuren kamen mir oft zu kurz.

"Du bist der Kompass in der Finsternis, der Lotse im Sturm. Du wirst stets deinen Weg finden, Zafira bint Iskandar."

Was die Geschichte allerdings trotzdem interessant und lesenswert macht, sind Schreibstil und Setting. Hafsah Faizals Schreibstil ist atmosphärisch dicht, lyrisch und bildhaft. Glücklicherweise hat die Übersetzung viel von diesem zauberhaften Ton beibehalten, auch wenn der verschnörkelte Stil manchmal etwas schwerfällig wirkt und definitiv zum schleppenden Spannungsbogen beiträgt. Die Beschreibungen entführen uns Lesende in die exotische Welt von Arawiya, die von arabischer Folklore inspiriert ist. Von den verschneiten Ebenen Demenhurs über den düsteren, sich ausbreitenden Wald Arz bis zur gefährlichen Insel Sharr mit ihrer tödlichen Wüstenlandschaft erschafft Hafsah Faizal eine faszinierende Welt, die facettenreicher nicht sein könnte. Zusätzlich zur landschaftlichen Abwechslung ist Arawiya mit düsteren Legenden, der verschwundenen Magie, der Geschichte der sechs Schwestern und der damit einhergehenden Geringschätzung und Unterdrückung von Frauen sowie einem magischen Buch auch reich an Kultur, Mythologie und dunkler Geschichte. Dieser Teil des Worldbuildings bleibt jedoch ebenfalls eher geheimnisvoll und ungreifbar - statt klarer Regeln, Fakten oder Magiesysteme liegt der Fokus auf Mythen und Überlieferungen. Auch die immer wieder eingestreuten arabischen Begriffe und Ausrufe verleihen der Welt zusätzliche Authentizität, aber auch Kompliziertheit – zum Glück findet man aber am Ende des Buches ein Glossar, das diese erläutert.

"Du und ich sind Fremde, Jägerin. Verbündete nur durch die Umstände. Vielleicht wird es uns gelingen, Sharr zu verlassen, und danach werden wir nie wieder einen Gedanken an den anderen verschwenden. Aber in diesem Moment sind wir zwei Seelen, einsam im Angesicht des Mondes, hungrig und allein, treibend in der Strömung dessen, was wir nicht verstehen. Wir jagen die Flamme, das Licht in der Finsternis, das Gute, das diese Welt verdient."

So passen Hafsah Faizals Welt, ihre Figuren und ihr Schreibstil wie Puzzleteile zusammen: alle sind sie geheimnisvoll, verschnörkelt, märchenhaft und auf genüssliche Weise kompliziert. Nur eben leider nicht spannend und greifbar genug, um mich wirklich fesseln zu können. Ob ich Band 2, "We Free the Stars" ebenfalls lesen werde, bin ich mir trotz des sehr offenen Endes demnach nicht sicher.


Fazit


Hafsah Faizals märchenhafter Schreibstil und das faszinierende Setting machen "We Hunt the Flame" zwar lesenswert, doch der magische Sog, den ich mir erhofft hatte, blieb für mich aus. Dafür war die Handlung zu flach und ließ keinen echten Spannungsbogen entstehen, die Figuren zu schlecht greifbar und die Liebesgeschichte zu knapp. Schade!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 15.12.2024

Ein komplexer, hochspannender und atmosphärischer Krimithriller!

The Reappearance of Rachel Price (deutsche Ausgabe)
0

Nachdem mir die "A Good Girl´s Guide to Murder"-Reihe von Holly Jackson so gut gefallen hat und ich auch mit der Serienadaption großen Spaß hatte, hatte ich große Lust, direkt das neue Buch des Autorin ...

Nachdem mir die "A Good Girl´s Guide to Murder"-Reihe von Holly Jackson so gut gefallen hat und ich auch mit der Serienadaption großen Spaß hatte, hatte ich große Lust, direkt das neue Buch des Autorin hinterherzuschieben. Große Erwartungen hatte ich an "The Reappearance of Rachel Price" nicht, sie wurden allerdings haushoch übertroffen. Auf 577 Seiten erzählt Holly Jackson abermals eine komplexe, hochspannende und atmosphärische Krimigeschichte, die man kaum aus der Hand legen kann und die zum Miträtseln einlädt. Auch wenn ich trotz vieler Finten der Autorin bei der groben Richtung der Handlung eine Idee hatte, die sich auch bestätigte, gab es etliche Gänsehaut-Wendungen, die mich eiskalt überrascht haben. So bleibt bis kurz vor Ende nicht klar, wem Bel vertrauen kann, wer sie manipuliert und ob sie in ihrem eigenen Haus sicher ist...

Toll unterstrichen wird die spannende Atmosphäre der Geschichte wieder durch die abwechslungsreiche, temporeiche Erzählweise von Holly Jackson. Die Autorin erzählt hier aus der Ich-Perspektive von Protagonistin Bel, bindet aber durch die Anwesenheit des Filmteams wieder verschiedene Medienformate mit ein. Besonders hervorzuheben ist außerdem, dass die Geschichte schon früh immer wieder Psychothriller-Elemente einbindet, die man in einem YA-Krimi nicht unbedingt erwarten würde und "The Reappearance of Rachel Price" somit von Beginn an erwachsener, düsterer und blutiger ist, als ihre erste Reihe. Die Altersbeschränkung sollte hier also unbedingt beachtet werden!

Begleitet wird der hochspannende Krimithriller wieder von einem großartigen Figurenporträt. Zwar macht es einem Bel zu Beginn deutlich schwerer, einen Zugang zu ihr zu finden als die fröhliche Pippa aus "A Good Girl´s Guide To Murder", sie ist aber mindestens genauso nuanciert gestaltet und macht innerhalb des Einzelbandes eine enorme Entwicklung durch. Es gelingt uns nach einigen Kapiteln schnell hinter ihre sarkastische, verletzende Schutzhaltung zu blicken, mit der sie Personen aus ihrem Umfeld wegstößt, aus Angst von ihnen verlassen zu werden. Die Wunden, die Rachels Verschwinden bei ihr und in ihrer Familie hinterlassen hat, sind auf jeder Seite spürbar und Bels Beziehung zu ihrer Familie demnach - besonders zur neu auftauchenden Rachel - großartig herausgearbeitet! Mit dem Kameraassistenten Ash bekommt sie einen romantischen Sidekick für ihre Ermittlungen zur Seite gestellt, das Zusammenspiel der beiden bleibt aber stark im Hintergrund und lässt die Bühne offen für die Familiendynamik der Familie Price, die von Geheimnissen, Gaslighting, Verrat und Lügen nur so strotzen. Wer am Ende unversehrt daraus hervorgeht? Lest unbedingt selbst!


Die Zitate


“Shit, yes, now you mention it, I’ve just suddenly remembered everything and solved the entire case, can you believe it? What a plot twist.”

“The name Rachel Price is almost synonymous with mystery. Because her disappearance was like a puzzle, and it’s human nature to want to solve a puzzle, don’t you think?”

“Making people leave her before they chose to go anyway. Same result in the end, because everybody left eventually, but it hurt less. That was what life was, choosing the way that hurt less.”



Das Urteil


Ein komplexer, hochspannender und atmosphärischer Krimithriller, den man kaum aus der Hand legen kann und der zum Miträtseln einlädt. Holly Jackson gelingt es abermals, mitzureißen, auf falsche Fährten zu führen und dabei sogar eine empowernde Mutter-Tochter-Geschichte zu erzählen. Absolut lesenswert!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 15.12.2024

Ein komplexer, hochspannender und atmosphärischer Krimithriller

The Reappearance of Rachel Price (deutsche Ausgabe)
0

Nachdem mir die "A Good Girl´s Guide to Murder"-Reihe von Holly Jackson so gut gefallen hat und ich auch mit der Serienadaption großen Spaß hatte, hatte ich große Lust, direkt das neue Buch des Autorin ...

Nachdem mir die "A Good Girl´s Guide to Murder"-Reihe von Holly Jackson so gut gefallen hat und ich auch mit der Serienadaption großen Spaß hatte, hatte ich große Lust, direkt das neue Buch des Autorin hinterherzuschieben. Große Erwartungen hatte ich an "The Reappearance of Rachel Price" nicht, sie wurden allerdings haushoch übertroffen. Auf 577 Seiten erzählt Holly Jackson abermals eine komplexe, hochspannende und atmosphärische Krimigeschichte, die man kaum aus der Hand legen kann und die zum Miträtseln einlädt. Auch wenn ich trotz vieler Finten der Autorin bei der groben Richtung der Handlung eine Idee hatte, die sich auch bestätigte, gab es etliche Gänsehaut-Wendungen, die mich eiskalt überrascht haben. So bleibt bis kurz vor Ende nicht klar, wem Bel vertrauen kann, wer sie manipuliert und ob sie in ihrem eigenen Haus sicher ist...

Toll unterstrichen wird die spannende Atmosphäre der Geschichte wieder durch die abwechslungsreiche, temporeiche Erzählweise von Holly Jackson. Die Autorin erzählt hier aus der Ich-Perspektive von Protagonistin Bel, bindet aber durch die Anwesenheit des Filmteams wieder verschiedene Medienformate mit ein. Besonders hervorzuheben ist außerdem, dass die Geschichte schon früh immer wieder Psychothriller-Elemente einbindet, die man in einem YA-Krimi nicht unbedingt erwarten würde und "The Reappearance of Rachel Price" somit von Beginn an erwachsener, düsterer und blutiger ist, als ihre erste Reihe. Die Altersbeschränkung sollte hier also unbedingt beachtet werden!

Begleitet wird der hochspannende Krimithriller wieder von einem großartigen Figurenporträt. Zwar macht es einem Bel zu Beginn deutlich schwerer, einen Zugang zu ihr zu finden als die fröhliche Pippa aus "A Good Girl´s Guide To Murder", sie ist aber mindestens genauso nuanciert gestaltet und macht innerhalb des Einzelbandes eine enorme Entwicklung durch. Es gelingt uns nach einigen Kapiteln schnell hinter ihre sarkastische, verletzende Schutzhaltung zu blicken, mit der sie Personen aus ihrem Umfeld wegstößt, aus Angst von ihnen verlassen zu werden. Die Wunden, die Rachels Verschwinden bei ihr und in ihrer Familie hinterlassen hat, sind auf jeder Seite spürbar und Bels Beziehung zu ihrer Familie demnach - besonders zur neu auftauchenden Rachel - großartig herausgearbeitet! Mit dem Kameraassistenten Ash bekommt sie einen romantischen Sidekick für ihre Ermittlungen zur Seite gestellt, das Zusammenspiel der beiden bleibt aber stark im Hintergrund und lässt die Bühne offen für die Familiendynamik der Familie Price, die von Geheimnissen, Gaslighting, Verrat und Lügen nur so strotzen. Wer am Ende unversehrt daraus hervorgeht? Lest unbedingt selbst!


Die Zitate


“Shit, yes, now you mention it, I’ve just suddenly remembered everything and solved the entire case, can you believe it? What a plot twist.”

“The name Rachel Price is almost synonymous with mystery. Because her disappearance was like a puzzle, and it’s human nature to want to solve a puzzle, don’t you think?”

“Making people leave her before they chose to go anyway. Same result in the end, because everybody left eventually, but it hurt less. That was what life was, choosing the way that hurt less.”



Das Urteil


Ein komplexer, hochspannender und atmosphärischer Krimithriller, den man kaum aus der Hand legen kann und der zum Miträtseln einlädt. Holly Jackson gelingt es abermals, mitzureißen, auf falsche Fährten zu führen und dabei sogar eine empowernde Mutter-Tochter-Geschichte zu erzählen. Absolut lesenswert!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 29.11.2024

Eine inspirierende und notwendige Lektüre, die längst überfällige Fragen stellt!

Beklaute Frauen
0

Denkt man an große Helden, Künstler, Pioniere, Denker und Forscher der Geschichte, kommen einem automatisch Namen wie Shakespeare, Galileo, Newton, Nietzsche, Picasso, Mozart oder Columbus in den Sinn. ...

Denkt man an große Helden, Künstler, Pioniere, Denker und Forscher der Geschichte, kommen einem automatisch Namen wie Shakespeare, Galileo, Newton, Nietzsche, Picasso, Mozart oder Columbus in den Sinn. Nach diesen sind Schulen, Straßen und Sendungen benannt, wir sehen ihr Konterfei in Schulbüchern, Sendungen und im Internet. Was haben diese Namen alle gemeinsam: es sind alles weiße europäische Männer. Fragt man Passanten hingegen nach den Namen großer Frauen, die Kunst, Wissenschaft und Politik in den letzten Jahrhunderten geprägt haben, werden die Antworten deutlich dünner. Umso wichtiger ist der aktuelle Trend, sich die Geschichte Deutschlands und Europas aus anderer Perspektive nochmal vorzunehmen und übersehene, untergegangene oder ausgelöschte Narrative und Biografien ins Rampenlicht zu stellen.

Dieses Ziel geht auch die Historikerin Leonie Schöler in "Beklaute Frauen" mit scharfem Blick, umfassender Recherche und einer klaren Haltung an. In ihrem ersten Sachbuch macht es sich die Autorin zur Aufgabe die Diskrepanz zwischen Schaffen und öffentlicher Anerkennung von Frauen nicht nur zu benennen, sondern zu erklären. Aus meiner Sicht ein Muss für alle, die den Blick auf historische Lücken werfen möchten, die dringend geschlossen werden müssen!

Das Buch gliedert sich in sechs thematische Überkapitel, die systematisch aufzeigen, wie Frauen als Bürgerinnen, Künstlerinnen, Wissenschaftlerinnen und Aktivistinnen von gesellschaftlichen und kulturellen Mechanismen ausgeschlossen, um Anerkennung und Preise gebracht und unsichtbar gemacht wurden. In Kapiteln wie "Künstler wird mit Er geschrieben" oder "Vergessen und ausgelöscht" greift die Autorin dafür sorgfältig ausgewählte Lebensgeschichten auf. Trotz des Umfangs des Buches kann die Autorin leider nur eine begrenzte Auswahl prominenter Beispiele aus Wissenschaft, Kunst, Literatur und Politik ausführlich vorstellen, was sie allerdings bereits in der Einleitung begründet. Zunächst sind die präsentierten Schicksale aufgrund ihrer eigenen thematischen Expertise begrenzt auf Europa der letzten 200 Jahre. Zusätzlich wird betont, dass "Beklaute Frauen" trotz des engen Fokus´ nur die Spitze des Eisbergs zeigen kann. Denn trotz ausführlicher Recherche und der gesellschaftlichen Bestrebung, Geschichte neu zu denken, bleiben unzählige Lebenswerke für immer unauffindbar und es lässt sich nur erahnen, wie viele ähnliche Fälle sich hinter den genannten verbergen, deren Spuren aber für immer verwischt sind...

Was "Beklaute Frauen" von anderen Sachbüchern dieser inhaltlichen Schlagrichtung abhebt, ist dass sie weit über die reine Auflistung von Biografien hinausgeht und vielmehr nur unter Zuhilfenahme exemplarischer Fälle erklärt, welche Hintergründe des Systems dazu geführt haben, dass die Frauen in diesem Feld übergangen wurden und vor allem auch wie diese Strukturen bis heute andauern und Einfluss nehmen. Wie kommt es, dass noch immer Frauen in Führungspositionen unterrepräsentiert sind, weniger wissenschaftliche Preise gewinnen, weniger Geld verdienen, weniger Grundbesitz haben und seltener in Museen, Galerien, Schulbüchern oder Reportagen erwähnt werden? Die klare Antwort:

"Hinter jedem erfolgreichen Mann steht ein System, das ihn bestärkt; vor allen anderen steht ein System, das sie aufhält."


So machen die Schicksale von Betrug, Diebstahl und Machtmissbrauch einerseits wütend, sensibilisieren aber auch dafür, welche Strukturen es heute noch gibt. Dadurch hatte ich beim Lesen den ein oder anderen "Aha-Effekt" und bin über viele Misskonzeptionen gestolpert, die mein bisheriges Wissen geprägt haben und die ich zunächst kaum glauben konnte. Dass die fachliche Expertise der Autorin aber nicht anzuzweifeln ist, zeigt unter anderem das sehr ausführliche Literaturverzeichnis, das sich mit über 700 Fußnoten über 70 Seiten erstreckt und für alle Zweifler die solide Recherche der Autorin untermauert. Für LeserInnen, die sich tiefer mit dem Thema befassen möchten, bietet sie zudem zahlreiche weiterführende Literaturempfehlungen an.

Besonders stark finde ich auch, dass die Autorin außerdem immer im Sinne der Intersektionalität auf die Verschränkung von sexistischer Diskriminierung mit anderen Faktoren wie Ethnie oder sexueller Orientierung eingeht und den "weißen Feminismus" explizit kritisiert. Für diese und andere Stellungnahmen, durchbricht sie allerdings immer wieder ihre klare Kapitelstruktur und ergänzt sie durch essayistische Elemente, in denen sie ihre persönliche Meinung äußert, autobiografische Elemente hinzufügt oder subjektiv kommentiert. Diese Passagen verleihen dem Buch eine zusätzliche Tiefe, könnten aber für LeserInnen, die ein reines Sachbuch erwarten, als zu subjektiv empfunden werden. Mich hat dies nicht gestört, da stärkere Aussagen an vielen Stellen aus meiner Sicht angebracht sind und die Autorin dafür ein angemessenes Maß findet. Für was ich allerdings einen halben Stern abziehe, ist dass der rote Faden durch diese Abschweifungen leider etwas schwächelt.

Zuletzt noch ein paar kurze Worte zur Gestaltung des Buches, die mit ihren bunten Farben und dem Pop-Art-Stil ins Auge sticht. Das Cover zeigt eine stilisierte Frauenfigur in kräftigen Rot- und Orangetönen, die entschlossen ihr Profil zeigt. Der Titel "Beklaute Frauen" ist dabei in großen weißen Buchstaben extra polemisch gewählt, um die inhaltliche Dringlichkeit hervorzuheben. Auch die Innenaufmachung ist minimalistisch und einfach zugänglich mit Infokästen und Fotografien gestaltet, die den Lesefluss auflockern und zusätzliche Einblicke bieten. Insgesamt gelingt es der Gestaltung also, den Anspruch und die Relevanz des Buches optisch zu transportieren: eine Hommage an die Stärke, Intelligenz und Entschlossenheit von Frauen, die eigentlich ihren Platz in der Geschichte mehr als verdient haben und zugleich ein Aufruf für mehr Gerechtigkeit in der Erinnerungskultur und für ein Umdenken, das die unsichtbaren Heldinnen der Vergangenheit endlich sichtbar macht.

"Wir alle sind Teil einer Gesellschaft, die wir gemeinsam gestalten. Manche Menschen verfügen jedoch historisch gewachsen über deutlich mehr Ressourcen als andere, um sich Gehör zu verschaffen, eigene Interessen durchzusetzen und die gesellschaftlichen Regeln dadurch zum eigenen Vorteil mitzubestimmen."




Fazit


"Beklaute Frauen" ist ein wertvolles Sachbuch, das historische Ungerechtigkeiten nicht nur aufzeigt, sondern auch erklärt und kontextualisiert. Trotz kleiner Schwächen – etwa beim roten Faden und gelegentlicher Subjektivität – ist es eine inspirierende und notwendige Lektüre, die längst überfällige Fragen stellt!

Veröffentlicht am 29.11.2024

Eine inspirierende und notwendige Lektüre, die längst überfällige Fragen stellt!

Beklaute Frauen
0

Denkt man an große Helden, Künstler, Pioniere, Denker und Forscher der Geschichte, kommen einem automatisch Namen wie Shakespeare, Galileo, Newton, Nietzsche, Picasso, Mozart oder Columbus in den Sinn. ...

Denkt man an große Helden, Künstler, Pioniere, Denker und Forscher der Geschichte, kommen einem automatisch Namen wie Shakespeare, Galileo, Newton, Nietzsche, Picasso, Mozart oder Columbus in den Sinn. Nach diesen sind Schulen, Straßen und Sendungen benannt, wir sehen ihr Konterfei in Schulbüchern, Sendungen und im Internet. Was haben diese Namen alle gemeinsam: es sind alles weiße europäische Männer. Fragt man Passanten hingegen nach den Namen großer Frauen, die Kunst, Wissenschaft und Politik in den letzten Jahrhunderten geprägt haben, werden die Antworten deutlich dünner. Umso wichtiger ist der aktuelle Trend, sich die Geschichte Deutschlands und Europas aus anderer Perspektive nochmal vorzunehmen und übersehene, untergegangene oder ausgelöschte Narrative und Biografien ins Rampenlicht zu stellen.

Dieses Ziel geht auch die Historikerin Leonie Schöler in "Beklaute Frauen" mit scharfem Blick, umfassender Recherche und einer klaren Haltung an. In ihrem ersten Sachbuch macht es sich die Autorin zur Aufgabe die Diskrepanz zwischen Schaffen und öffentlicher Anerkennung von Frauen nicht nur zu benennen, sondern zu erklären. Aus meiner Sicht ein Muss für alle, die den Blick auf historische Lücken werfen möchten, die dringend geschlossen werden müssen!

Das Buch gliedert sich in sechs thematische Überkapitel, die systematisch aufzeigen, wie Frauen als Bürgerinnen, Künstlerinnen, Wissenschaftlerinnen und Aktivistinnen von gesellschaftlichen und kulturellen Mechanismen ausgeschlossen, um Anerkennung und Preise gebracht und unsichtbar gemacht wurden. In Kapiteln wie "Künstler wird mit Er geschrieben" oder "Vergessen und ausgelöscht" greift die Autorin dafür sorgfältig ausgewählte Lebensgeschichten auf. Trotz des Umfangs des Buches kann die Autorin leider nur eine begrenzte Auswahl prominenter Beispiele aus Wissenschaft, Kunst, Literatur und Politik ausführlich vorstellen, was sie allerdings bereits in der Einleitung begründet. Zunächst sind die präsentierten Schicksale aufgrund ihrer eigenen thematischen Expertise begrenzt auf Europa der letzten 200 Jahre. Zusätzlich wird betont, dass "Beklaute Frauen" trotz des engen Fokus´ nur die Spitze des Eisbergs zeigen kann. Denn trotz ausführlicher Recherche und der gesellschaftlichen Bestrebung, Geschichte neu zu denken, bleiben unzählige Lebenswerke für immer unauffindbar und es lässt sich nur erahnen, wie viele ähnliche Fälle sich hinter den genannten verbergen, deren Spuren aber für immer verwischt sind...

Was "Beklaute Frauen" von anderen Sachbüchern dieser inhaltlichen Schlagrichtung abhebt, ist dass sie weit über die reine Auflistung von Biografien hinausgeht und vielmehr nur unter Zuhilfenahme exemplarischer Fälle erklärt, welche Hintergründe des Systems dazu geführt haben, dass die Frauen in diesem Feld übergangen wurden und vor allem auch wie diese Strukturen bis heute andauern und Einfluss nehmen. Wie kommt es, dass noch immer Frauen in Führungspositionen unterrepräsentiert sind, weniger wissenschaftliche Preise gewinnen, weniger Geld verdienen, weniger Grundbesitz haben und seltener in Museen, Galerien, Schulbüchern oder Reportagen erwähnt werden? Die klare Antwort:

"Hinter jedem erfolgreichen Mann steht ein System, das ihn bestärkt; vor allen anderen steht ein System, das sie aufhält."


So machen die Schicksale von Betrug, Diebstahl und Machtmissbrauch einerseits wütend, sensibilisieren aber auch dafür, welche Strukturen es heute noch gibt. Dadurch hatte ich beim Lesen den ein oder anderen "Aha-Effekt" und bin über viele Misskonzeptionen gestolpert, die mein bisheriges Wissen geprägt haben und die ich zunächst kaum glauben konnte. Dass die fachliche Expertise der Autorin aber nicht anzuzweifeln ist, zeigt unter anderem das sehr ausführliche Literaturverzeichnis, das sich mit über 700 Fußnoten über 70 Seiten erstreckt und für alle Zweifler die solide Recherche der Autorin untermauert. Für LeserInnen, die sich tiefer mit dem Thema befassen möchten, bietet sie zudem zahlreiche weiterführende Literaturempfehlungen an.

Besonders stark finde ich auch, dass die Autorin außerdem immer im Sinne der Intersektionalität auf die Verschränkung von sexistischer Diskriminierung mit anderen Faktoren wie Ethnie oder sexueller Orientierung eingeht und den "weißen Feminismus" explizit kritisiert. Für diese und andere Stellungnahmen, durchbricht sie allerdings immer wieder ihre klare Kapitelstruktur und ergänzt sie durch essayistische Elemente, in denen sie ihre persönliche Meinung äußert, autobiografische Elemente hinzufügt oder subjektiv kommentiert. Diese Passagen verleihen dem Buch eine zusätzliche Tiefe, könnten aber für LeserInnen, die ein reines Sachbuch erwarten, als zu subjektiv empfunden werden. Mich hat dies nicht gestört, da stärkere Aussagen an vielen Stellen aus meiner Sicht angebracht sind und die Autorin dafür ein angemessenes Maß findet. Für was ich allerdings einen halben Stern abziehe, ist dass der rote Faden durch diese Abschweifungen leider etwas schwächelt.

Zuletzt noch ein paar kurze Worte zur Gestaltung des Buches, die mit ihren bunten Farben und dem Pop-Art-Stil ins Auge sticht. Das Cover zeigt eine stilisierte Frauenfigur in kräftigen Rot- und Orangetönen, die entschlossen ihr Profil zeigt. Der Titel "Beklaute Frauen" ist dabei in großen weißen Buchstaben extra polemisch gewählt, um die inhaltliche Dringlichkeit hervorzuheben. Auch die Innenaufmachung ist minimalistisch und einfach zugänglich mit Infokästen und Fotografien gestaltet, die den Lesefluss auflockern und zusätzliche Einblicke bieten. Insgesamt gelingt es der Gestaltung also, den Anspruch und die Relevanz des Buches optisch zu transportieren: eine Hommage an die Stärke, Intelligenz und Entschlossenheit von Frauen, die eigentlich ihren Platz in der Geschichte mehr als verdient haben und zugleich ein Aufruf für mehr Gerechtigkeit in der Erinnerungskultur und für ein Umdenken, das die unsichtbaren Heldinnen der Vergangenheit endlich sichtbar macht.

"Wir alle sind Teil einer Gesellschaft, die wir gemeinsam gestalten. Manche Menschen verfügen jedoch historisch gewachsen über deutlich mehr Ressourcen als andere, um sich Gehör zu verschaffen, eigene Interessen durchzusetzen und die gesellschaftlichen Regeln dadurch zum eigenen Vorteil mitzubestimmen."




Fazit


"Beklaute Frauen" ist ein wertvolles Sachbuch, das historische Ungerechtigkeiten nicht nur aufzeigt, sondern auch erklärt und kontextualisiert. Trotz kleiner Schwächen – etwa beim roten Faden und gelegentlicher Subjektivität – ist es eine inspirierende und notwendige Lektüre, die längst überfällige Fragen stellt!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil