560 Seiten voller Magie, Stärke und Fantasie!
Orientalische, von außereuropäischen Kulturen inspirierte Fantasy kriegt mich jedes Mal. Jedes. Einzelne. Mal. Da bildete auch "A Song of Wraiths and Ruin" von Roseanne A. Brown, welches ich Anfang April ...
Orientalische, von außereuropäischen Kulturen inspirierte Fantasy kriegt mich jedes Mal. Jedes. Einzelne. Mal. Da bildete auch "A Song of Wraiths and Ruin" von Roseanne A. Brown, welches ich Anfang April gelesen habe keine Ausnahme. Der Auftakt zum NA-Dilogie-Debüt erzählte ein modernes, diverses Fantasy-Abenteuer über eine pulsierende Wüstenstadt, ein magisches Fest und zwei verzweifelte Spieler in einem gigantischen Spiel um Leben und Tod, dem man sich nicht entziehen kann! Genauso spannend ging es nun Anfang August in "A Psalm of Storms and Silence" weiter. Auch wenn ich dank meines Bookhangovers nach "Crescent City" eine Weile gebraucht habe, um in die Geschichte einzusteigen, kann ich nach den 560 Seiten voller Magie, Stärke und Fantasie nun sagen, dass Band 2 den Auftakt sogar übertrifft.
Schon das Cover hat mich sofort angesprochen. Auch wenn man im Gegensatz zum englischen Original die Nahaufnahme eines Modelgesichts im Profil sieht, sind Atmosphäre, Farbgebung und die Figurendarstellung so treffend, dass selbst ich mit meiner "Mimimi-keine-echte-Gesichter-auf-Buchcover"-Einstellung mich nicht beschweren kann. Während der dunkelhäutige Junge mit den kurzen Haaren auf der Vorderseite des Buches eindeutig an unseren ersten Protagonisten Malik erinnert, ist auf der Rückseite des Buches unsere erste Protagonistin Karina abgebildet, welche ja auch schon Band 1 geziert hat. Neben der treffenden Auswahl der Models gefällt mir an der Gestaltung besonders gut, dass die beiden Figuren, die jeweils im Profil zu sehen sind, sich gegenseitig anschauen, wenn man das Buch dreht und der dunkle Bordeaux-Rotton des Hintergrunds sehr gut zur deutlich ernsteren und brutaleren Handlung dieses zweiten Teils passt. Um den runden, magischen Gesamteindruck abzurunden, hat meine Ausgabe zusätzlich einen farbigen Buchschnitt, welcher das orientalische Muster fortsetzt, welches im Hintergrund des Cover zu sehen ist. Der Titel gefällt mir ebenfalls und passt sehr gut zur Geschichte, auch wenn Titel nach dem Schema "A xxx of xxx and xxx" im Fantasy-Genre definitiv überstrapaziert werden.
Erster Satz: "Ihr seid also zurückgekommen, weil ihr eine weitere Geschichte über den Jungen und das Mädchen hören möchtet."
Innerhalb der Buchdeckel setzt die Geschichte nach einer kurzen Anmerkung der Autorin bezüglich potenziell triggernder Themen (TW: Gewalt, selbstverletzendes Verhalten, Angstzustände, emotionaler und körperlicher Missbrauch und Tod) und einer Karte von Sonande kurz nach dem Ende von Band 1 an. Während Malik in Ziran mit den Auswirkungen von Hananes Wiedererweckung und dem Staatsstreich zu kämpfen hat, befindet sich Prinzessin Karina auf der Flucht aus Ziran. Damit haben sich die Rollen aus dem ersten Band genau gegensätzlich umgekehrt und Malik ist in einer privilegierten Welt aus Macht und Intrigen gefangen, während Karina quer durch Sonande flüchtet und um ihr Leben bangt. Als hätten die beiden nicht schon genug um die Ohren, beginnen die Götter sich wütend zu erheben und fordern angesichts des zu Unrecht durchgeführten Ritus der Auferstehung ein neues Opfer. Um die Götter zu besänftigen, die bösen Plagen zu beenden und Sonande zu retten, müssen sich Malik und Karina ein weiteres Mal auf die Suche nach uralten Artefakten begeben und - noch viel wichtiger - herausfinden, welchen Weg sie gehen wollen...
Karina: "Sanftmütige, gütige Mädchen - Mädchen wie Aminata, Mädchen wie Hanane -, das waren Mädchen, die man rettete. Niemand riskierte sein Leben für zerbrochene Mädchen mit Giftzungen. Niemand betrauerte Mädchen, die auf Löwentatzen durch die Welt streiften und taten, als wären sie stark, um dahinter ihr zerschmettertes Herz zu verstecken."
Klingt nach einer verworrenen Handlung mit intensiven Gefühlen, fiesen Intrigen, überraschenden Wendungen und großer Spannung, oder? Genau das bekommen wir hier auch vorgesetzt. Nachdem ich einige Erinnerungslücken zur Handlung von Band 1 überwunden hatte, habe ich mich in einer tief durchgerüttelten Welt wiedergefunden, die uns LeserInnen mit göttlichen Plagen, uralten Ritualen, verfeindete Familien, uralte Blutschulden und einer überraschenden Liebe mitreißt. Schon in Band 1 sorgte ja die durch die wechselnde Erzählweise hervorgehobene besondere Konstellation zwischen den beiden Hauptfiguren, die sich egal was sie tun und egal was sie fühlen immer auf entgegengesetzten Seiten wiederzufinden scheinen, für besonders viel Spannung. Auch hier wird die Situation, in die sich Malik und Karina hineinmanövrieren immer verfahrener, sodass man bald nicht weiß, wie die beiden sich aus dem Spinnennetz aus Intrigen und heimlichen Plänen befreien sollen, ohne sich selbst, einander oder ihr Herz zu verlieren...
Malik: "Man bekommt sein Leben nicht, um es sich zu verdienen. Man bekommt es, um es zu leben. Wenn du nur eine Sache findest, die es wert ist, einen weiteren Tag zu erleben, dann hast du alles getan, was du tun sollst."
Dabei legt Roseanne A. Brown von Beginn an ein hohes Erzähltempo an den Tag, findet aber gleichzeitig genügend Raum, um ihre Geschichte stetig mit Beschreibungen, Details und Ausschmückungen anzureichern, sodass die Geschichte ein wenig wie ein Ausflug auf einen Gewürzmarkt wirkt: im ersten Moment vielleicht leicht überfordernd, aber nach kurzer Eingewöhnung sehr interessant und mit vielen tollen Eindrücken, die in Erinnerung bleiben! Zu ihrem charakteristischen Schreibstil zählen auch leicht sprunghafte und plötzliche Szenenwechsel, welche zu großen und kleinen Überraschungsmomenten führen, die Erzählung aber auch leicht chaotisch wirken lassen. Da die minimal überladene Erzählweise jedoch gut zur lauten, bunten Welt, der verworrenen Geschichte und der dichten Spannung passt und die Autorin in diesem zweiten Teil zu einer wesentlich gereifteren Erzählweise gefunden hat, will ich mich sicherlich nicht darüber beschweren!
Karina: "Karina sang dem Wind zu, und der Wind sang zurück, ihre Arme erschufen eine Melodie aus Magie, die nur sie hören konnte. Und während ihr Körper unter der Anstrengung nachzugeben drohte, war ihr Herz voller Lebenskraft."
Neben der spannenden Dynamik zwischen den beiden Hauptpersonen machen auch die schrittweise Erkundung des Settings, das langsame Erklären des Magiesystems und die Aufdeckung der Hintergründe der Handlung die Geschichte so mitreißend. Statt uns von Seite 1 genau zu erklären, wie die Welt funktioniert, in denen ihre Charaktere leben, lieben und leiden, muss man sich in Roseanne A. Browns Roman das Verständnis des Worldbuildings selbst erarbeiten, sodass sich erst im Laufe der Zeit ein einleuchtendes Gesamtbild aus den vielen Details des Settings zusammensetzt. Unser Fantasy-Land Sonande ist dabei ein eindeutig von westafrikanischer Folklore inspiriertes Setting, das die vielfältige Landschaft Afrikas in fantasievollen Gegensätzen vereint. Von der Wüte bis zum Dschungel, bergigen Provinzen bis zu reichen Städten, fruchtbaren Savannen und gefährlichen Gewässern erstreckt sich dieses vielseitige Land, von dem aus Vertreter und Erzählungen bis zu unserem Hauptschauplatz in der Wüstenstadt Ziran wandern. In Band 1 war ich durch die Vielzahl der verschiedenen Namen, der Fülle an Informationen, der Fremdheit der Ausdrücke und der Wiedergabe aus zweiter Hand noch etwas überfordert mit dem Setting und hatte gehofft, dass wir zusammen mit unseren Protagonisten in Band 2 die restliche Welt erkunden und mit eigenen Augen sehen dürfen, von was Reisende in Ziran berichten. Genau das macht Roseanne A. Brown in ihrer Fortsetzung nun auch. Auch wenn Ihr neben der turbulenten Handlung nur wenig Zeit bleibt, um ihre gesamte Fantasywelt zu entdecken, bringt sie hier durch verborgene Städte, verfluchte Länder, alte Artefakte, lebensfeindliche Wüsten, lebendige Urwälder und die Berge von Maliks Heimat eine Menge neuer Schauplätze und Bilder in ihre Geschichte.
Malik: "Manchmal trifft man im Leben Entscheidungen, die man weder rückgängig machen noch begraben kann. Man kann sie nur tragen, und entweder bricht man darunter zusammen, oder man wächst daran und wird stark genug, um nicht zusammenzubrechen. Und es lohnt sich immer, zu wachsen, wenn es einem dabei hilft, das nächste Etwas zu erreichen, das das Leben lebenswert macht."
Zusätzlich zu dem komplexen und vielversprechenden Worldbuilding, bei dem aber auch nach diesem Finale noch viel offenbleibt, reicht auch die Geschichte des Landes über 1000 von Jahren zurück und ist angereichert mit afrikanischen Mythen, dem Erbe der Pharaonen, Geistern, Kriegen und Heldensagen, die man erst mit der Zeit einzuordnen vermag. Der Magie kommt dabei eine düstere, gefährliche und schwer greifbare Rolle zu. Anders als in vielen anderen Fantasy-Reihen ist die Magie hier keine von vornherein klare Größe, mit der gearbeitet, die gelehrt und offen eingesetzt wird. Stattdessen finden die beiden Hauptfiguren erst mit der Zeit heraus, dass sie unterschiedliche Arten von Magie besitzen und sind mit deren Handhabung völlig auf sich alleine gestellt. Dadurch erhält die Geschichte zusätzlich zum durch das hohe Erzähltempo entstandenen gehetzten, verzweifelten Eindruck, eine düstere, geheimnisvolle Atmosphäre, der man sich nur schlecht entziehen kann.
Karina: "Keine Macht, die einer gerechtfertigten Hinterfragung nicht standhält, ist es wirklich wert, ihr Gefolgschaft zu leisten."
Mit Karina und Malik haben wir zwei sympathische Figuren mit vielen tollen Ansätzen, welche jedoch in meinen Augen in dieser voluminösen Geschichte immer noch zu wenig Raum erhalten. Dabei machen beide Figuren eine enorme Entwicklung durch und werden hier zu starken PoC-Charakteren. Karina erschien in band 1 zunächst wie das Klischee einer verzogenen und arglosen Prinzessin. Mit ihrer unreifen, impulsiven und stolzen Art (keine besonders gute Kombination, damit lebt man in Fantasy-Welten oft nicht so lange...) verrannte sie sich in der ein oder anderen unnötigen Schwierigkeit und nahm Handlungen vor, die ich zum Teil schlecht oder gar nicht nachvollziehen konnte. Um ihr Erbe gebracht und plötzlich auf sich allein gestellt, muss sie sich nun darauf zurückbesinnen, wer sie ist, woher sie kommt und was sie aus ihrer Vergangenheit und der Geschichte ihres Landes lernen kann...
Malik: "Malik hatte mehr Fehler gemacht, als er in Worte fassen konnte, aber diese Fehler hatten ihm auch gezeigt, wie stark er war. Ganz gleich, wie oft die Welt versuchte, ihn in die Knie zu zwingen, er fand immer einen Weg, wieder aufzustehen. Dies hatte ihm nicht Farid gegeben. Dies hatte ihm nicht seine Magie gegeben. Er selbst hatte es sich gegeben, und er würde nicht zulassen, dass diese Männer es ihm wegnahmen."
Auch Malik hat sich durch all die Strapazen ordentlich weiterentwickelt. Im Gegensatz zu Karina war ihm durch seine feinfühlige, sanfte Art der Weg in mein Herz schon von Anfang an garantiert. Mit seinem wild ausschlagenden moralischen Kompass, seiner körperlichen Schwäche und seinem täglichen Kampf gegen Panikattacken weicht er deutlich vom Stereotyp des starken Kämpferhelden ab und zeigt auf, dass wahre Stärke auch abseits von Schwertkämpfen und Duellen liegen kann: in Freundlichkeit, Güte oder der Kunst, eine Geschichte zu erzählen zum Beispiel... Hier muss er abermals mit Angst, Depression und Selbstmordgedanken umgehen, multiple Traumata bewältigen, mit einem Dämon in seinem Kopf fertigwerden und gleichzeitig noch die Welt retten. Dass ihn das regelmäßig an seine Grenzen - und darüber hinaus - bringt, ist wohl nicht sehr verwunderlich. Er zeigt uns aber auch, dass ganz unerwartete Dinge eine Stütze sein können...
Karina: "Hast du vergessen, wer du bist? Hast du vergessen, woher du kommst? Unsere Ahnen sind unsere Wurzeln, sie erden uns. Ich bin der Stamm, ich halte die Verbindung. Du, mein Mädchen, bist die Zweige, du bist die Blätter, du bist alles Gute und Grüne. Du kannst blühen und blühen, wenn du dir selbst nur die Chance dazu gibst." (...) Der Turmfalke beugte sich hinab und drückte die Lippen auf Karinas Stirn. Blumen füllten ihre Lungen, füllten ihr Blut, die Saat ihrer Ahnen, die in ihr Wurzeln schlug. "Eine neue Königin muss sich erheben."
Der starken Atmosphären, spannenden Handlung und dem schnellen Erzähltempo stehen wie in Band 1 also leider eine eher mittelmäßig überzeugende Romanze und außerdem ein leicht chaotisches Ende gegenüber. Um die Liebesgeschichte trotz der Tatsache, dass Karina und Malik über die größte Zeit der Handlung hinweg räumlich voneinander getrennt sind, weiterentwickeln zu können, hat die Autorin die beiden geistig verbunden und sie in ihren jeweiligen Träumen besuchen lassen. Auch wenn dies nicht die kreativste aller Lösungen ist, erhält die sich in Band 1 beinahe unglaubwürdig schnell entwickelte Romanze so mehr Glaubwürdigkeit und Tiefe. Angesichts der extrem geringen Zeit, die Karina und Malik tatsächlich zusammen verbringen und der noch geringeren Anzahl an Worten, die die beiden wechseln, hätte ich aber dennoch weiterhin eine zarte Freundschaft bevorzugt, die weniger Raum in Anspruch genommen und Platz für weitere Entwicklungen gelassen hätte.
Malik: "Die alten Geschichten hatten Malik gelehrt, dass die Liebe eine Angelegenheit großer Verkündungen und noch größerer Gesten war. Doch hier in den frühen Morgenstunden, während er Karina in den Armen hielt und sie an seiner Brust Rotz und Wasser heulen ließ, begriff er, dass die Liebe eher einem Kieselstein glich, der in einen Teich sank. Leise wie das Umblättern einer Seite in einem Märchenbuch. Trotzdem breiteten sich die davon ausgehenden Wellen weiter und weiter aus und erfassten jede Vorstellung, die er von der Welt und sich selbst hatte."
Neben den beiden Hauptfiguren, die wie gesagt abwechselnd erzählen, erhalten wir eine ganze Palette an bunten Nebenfiguren, die ich vor allem für ihre Diversität und ihre interessanten Dynamiken mit den beiden Hauptfiguren loben möchte. Zwei Beispiel dafür sind die wieder auferstandene Prinzessin Hanane (Spoiler: Wie sie in Karinas Wahrnehmung von "der Leiche" zu "ihrer Schwester" wechselt und sich von Farids schädlichem Einfluss löst, ist einfach wundervoll) und der Flussgeist Idris (Spoiler: Obwohl Idris in Band 1 ganz klar ein Antagonist ist und Malik zu Beginn große Schwierigkeiten bereitet, ist mir der Flussgeist als sarkastischer Kommentator von Maliks Leben und unerwarteter Retter in der Not im Laufe der Zeit immer mehr ans Herz gewachsen. Besonders eine Szene, in der wir bemerken, dass er und Malik durch ihre geteilten Erinnerungen zu einem gegenseitigen Verständnis gelangt sind, hat mich sehr berührt). Ebenfalls nennen möchte ich den Teenager Ife, welcher hier als erster Fantasy-Charakter ohne eindeutig zuweisbares Geschlecht auftaucht, von dem ich in diesem Genre je gelesen habe.
Auch vom Ende bin ich wie gesagt nicht hundertprozentig begeistert. "A Psalm of Storms and Silence" endet in einem epischen, aber leider ärgerlich unübersichtlichen Showdown. Genau wie in Band 1 werden die Karten hier nochmal ordentlich neu gemischt, dabei passiert aber sehr viel gleichzeitig und über einige gravierende Aspekte wie ein plötzlicher Tod einer Figur und eine Wiederbelebung oder ähnliches Kaliber wird nur grob hinweggegangen. Roseanne A. Brown führt hier zwar alle Handlungsstränge zu einem gelungenen Ende und versteht es, das Ende als offener Anfang einer neuen Geschichte zu modellieren, kann aber nicht alles Potenzial ihrer Geschichte in das Finale kanalisieren. Dennoch: ich bin sehr gespannt auf ihr nächstes Abenteuer!
Fazit:
"A Psalm of Storms and Silence" überzeugt wie sein Vorgänger mit einer starken Atmosphäre, einer spannenden Handlung, einem bunten Setting, sympathischen Figuren mit enormen Charakterentwicklungen und einem schnellen Erzähltempo. Leichten Abzug gibt es von mir nur für das leicht chaotische Ende und die eher mittelmäßigen Romanze.