Um es vorweg zu sagen: ich habe ein Faible für Novellen! Und in der Literaturgeschichte gibt es einige großartige Beispiele dieser Textsorte, die der Textgattung Epik zughörig ist. Denken wir nur einmal an Stefan Zweig, der für mich der Meister schlechthin der Novelle ist. Die Messlatte liegt also hoch, zumal längst nicht jeder als solche apostrophierte Text tatsächlich die Merkmale einer Novelle aufweist. Derartige Beispiele bezeichnet man dann besser als Kurzromane, wenn sie schon den Kriterien einer Kurzgeschichte nicht entsprechen.
Durch viele Enttäuschungen vorbelastet begab ich mich also an die Lektüre von Rüdiger Marmullas erstem Band einer Trilogie, dem hier zu besprechenden „Rückkehr nach Regensburg“. Auch neugierig, denn bislang kannte ich aus seiner Feder nur „Der Abenteuergarten“, in dem er in kurzen Geschichten einen überraschend offenen Einblick in sein Leben und seine Persönlichkeit gibt – ein schmales Werk, das ich nur als sehr gelungen bezeichnen kann.
Meine Bedenken im Vorfeld – wie ich sie immer habe, bevor ich eine Novelle lese – waren, wie ich mir eigentlich hätte denken können, unbegründet! Das, was der Autor dem Leser vorlegt, ist nämlich in der Tat eine Novelle, genau wie aus dem Lehrbuch, wenn man sich klar macht, dass es sich bei den vermeintlichen Rückblenden, die in Novellen nicht vorgesehen sind, in Wahrheit um eine Binnenerzählung, eingebettet in eine Rahmenhandlung, handelt, eine beliebte Erzähltechnik der Novelle.
Novellen sind 'Neuigkeiten', haben also keineswegs eine ganz normale Alltagssituation zum Inhalt, sondern vielmehr etwas Außergewöhnliches, auch wenn dies in „Rückkehr nach Regensburg“ zunächst nicht den Anschein hat, denn das, was der Protagonist Richard mit seinem Freund Christian unternimmt, ist eine ganz normale Städtereise, nach Regensburg eben, der Stadt, in der Richard aufwuchs und die er seinem Freund zeigen möchte. Dass er damit eine Reise in die Vergangenheit macht und die Erinnerungen an Dana, seine erste, seine ganz große Liebe, die recht traurig endete, immer lebendiger werden – hier also haben wir unsere Binnenerzählung -, hat er nicht erwartet. Nach all den Jahren, die seit der unglückseligen Trennung von Dana vergangen sind und in denen er seine eigene Familie gegründet hatte, glaubte er, dass die schmerzende Wunde sich geschlossen hatte. Doch obschon er eine glückliche Ehe geführt hatte mit Eva, die drei Jahre zuvor von ihm gegangen war, war da immer noch Dana in seinem Herzen, die er – und nun bahnt sich der jeder Novelle zugehörige Wendepunkt an – in der Kellnerin eines Speiselokals, das er mit Freund Christian besucht, wiederzuerkennen glaubt, obgleich dies unmöglich scheint!
Doch Wendepunkte verändern nun einmal den Lauf einer Geschichte, geben ihr eine ganz neue, eine unerwartete Richtung. Das unmöglich Scheinende darf eintreten! Für den 68jährigen Richard, der etwas verloren, auf jeden Fall einsam wirkt und auch gesundheitlich nicht auf der Höhe ist, bietet sich nun ganz unverhofft eine zweite Chance auf eine gemeinsame Zukunft mit der nie vergessenen Liebe seines Lebens. Wünschen wir ihm, dass er sie ergreifen möge!
Im Gegensatz zu Thomas Mann, einem weiteren Meister der Novelle (was Wunder, denn alles, was er anpackte, brachte er zur Meisterschaft!), ist Rüdiger Marmulla dankenswerterweise ein Schriftsteller, der einen schnörkellosen Stil beherrscht, mit kurzen und klaren Sätzen, mit sozusagen 'unverpackten' Gedanken. Als nüchtern möchte ich seinen Erzählstil bezeichnen, als ausgewogen und besonnen. Und genau diesen Eindruck machen auch seine Charaktere – genaugenommen sind dies nur drei, und eine sehr begrenzte Anzahl von Personen ist ja schließlich ein weiteres Kriterium der Novelle! Wenn man nicht tiefer schaut freilich, denn gerade Richard ist starker Emotionen fähig, war es immer, wobei ich mir bei Dana noch nicht recht sicher sein kann, angesichts dessen, was man in der Binnenerzählung über sie erfährt.
Was sich aber ändern mag nach der Lektüre der beiden folgenden Novellen, die die Trilogie vervollständigen werden, die mir, nebenbei bemerkt, stark autobiographisch gefärbt zu sein scheint, wie ich in Kenntnis des „Abenteuergartens“ zu behaupten wage. Ein weiterer Grund, neugierig zu sein auf das, was das Leben beziehungsweise der Autor für die beiden Liebenden, die einander so unerwartet wiedergefunden haben, bereit hält. Aber halt – unerwartet? Rein zufällig? Ein Ereignis ohne kausale Erklärungen, wie das so oft eintritt im Leben eines jeden Menschen? Man könnte es auch anders sehen, so nämlich, wie es Albert Einstein formuliert hat: „Der Zufall ist Gottes Art anonym zu bleiben“. Belassen wir es einmal dabei!