Mir fehlte ein bisschen die Moral der Geschichte
Es geht hier im wirklich schwierige Themen. Protagonist der Geschichte ist Jan, der seit Jahren gemobbt wird und nun beschließt, sich zu rächen. Jan war für mich ein bisschen ein schwieriger Charakter. ...
Es geht hier im wirklich schwierige Themen. Protagonist der Geschichte ist Jan, der seit Jahren gemobbt wird und nun beschließt, sich zu rächen. Jan war für mich ein bisschen ein schwieriger Charakter. Einerseits hatte ich gleich Mitgefühl für ihn, andererseits kommt nicht so richtig raus, wie die Clique ihn gemobbt hat. Es war für mich ein bisschen schwer nachvollziehbar, wieso Jan zu einer derart drastischen Maßnahme greift. Er scheint mir recht sensibel zu sein, aber auch irgendwie der typische Außenseiter. Selbstbewusstsein ist hier nicht zu finden und auch sonst ist er recht eigenartig in seinen Gedanken und Handlungen.
Außer Jan begleiten wir noch Emmy und durch ihre Augen dann auch die Clique. Sie scheint mir fast noch die normalste Figur in diesem Buch zu sein, außer Maira, auf die ich später noch zu sprechen komme. Emmy hat auch ihre Probleme, aber die sind bei Weitem nicht so gravierend, wie die der andern Cliquenmitglieder. Dabei bekommt man in diesem Buch von allem sehr viel. Jeder aus der Clique hat mehr oder weniger (eher mehr) Probleme mit sich und seinem Leben. Diese werden von der Autorin gut dargestellt, aber nicht aufgearbeitet. Nun lädt die Geschichte, so wie sie konzipiert ist, auch nicht zur Aufarbeitung ein. Die Clique kennt sich schließlich schon seit Jahren und will einfach nur abschalten. Gelingt nicht so wirklich, denn jeder trägt sein Päckchen mit in den Urlaub hinein.
Spannend fand ich, wie wenig Zusammenhalt und Unterstützung es in dieser Clique gibt. Das machte die Geschichte für mich sehr authentisch, denn letzten Endes bekam ich den Eindruck, dass sich die Mitglieder eigentlich total egal sind. Freundschaft? Hier nicht wirklich zu finden. Es wirkte eher wie eine Zweckgemeinschaft. Das machte sie unglaublich unsympathisch, was mich als Leserin dann wieder auf Jans Seite zog.
Moralische Instanz der Geschichte war die Tochter von Jans Zimmerwirtin, Maira. Auch wenn sie von der ganzen Geschichte nichts ahnt, so zeigt sie doch immer wieder, dass sie die einzige in diesem ganzen Buch ist, die zwischen Richtig und Falsch entscheiden kann.
Die Geschichte folgt einem roten Faden, dennoch hat mir was gefehlt. Der erhobene Zeigefinger. Ihr fragt euch vielleicht, warum. Sonst schreibe ich meistens eher „ich fand es gut, dass die Geschichte ohne erhobenen Zeigefinger auskam“. Hier hätte ich mir aber an der einen oder anderen Stelle etwas Reflexion gewünscht. Keine einzige der Figuren, sei es Jan, sei es einer aus der Clique hinterfragt auch nur ein Mal ihr oder sein Verhalten. Das war mir definitiv zu wenig. Der Titel des Buches lautet ja „The truth behind your lies“ und das hat mir irgendwie gefehlt, dass jemand auf die Suche nach der Wahrheit hinter all den Lügen geht.
Was sehr schön herausgearbeitet wurde ist, dass es hier weder Opfer noch Täter gibt bzw. jeder alles ist. Keine der Figuren (Maira ausgenommen) handelt moralisch vernünftig. Das Opfer wird zum Täter und die Täter werden zu Opfern. Das geht doch recht einfach. Ebenso schön herausgearbeitet wurde, dass die wenigen, die zuerst Täter waren, sich überhaupt nicht reflektieren, als die gesamte Geschichte herauskommt. Typisch für solche Mobbinggeschichten unter Jugendlichen, denke ich. Wer kennt sie nicht? Die beliebten Kids der Schule, die alle anderen im besten Falle ignorieren, im schlimmsten Falle mobben? Ich glaube, dass das heute noch schlimmer geworden ist, und dass die Autorin hier keinen Einzelfall schildert. Dass das Opfer dann zu so drastischen Mitteln greift, wird sicher nicht so oft vorkommen, aber konstruiert wirkte die Geschichte auch nicht. Es könnte sich so zuspielen.
Die Geschichte endet recht abrupt mit einem großen Knall. Ich hätte mir einen Epilog gewünscht, z. B. ein Halbes oder ein Jahr später, in dem nochmal berichtet wird, wie die ganzen Vorfälle aufgearbeitet wurden und was aus den Protagonisten geworden ist.
Der Schreibstil von Silke Heimes ist eingängig und lässt sich leicht und flüssig lesen. Die Sprache ist einem Jugendthriller angemessen und ich denke, dass Jugendliche ganz gut in die Protagonisten hineinversetzen können.
Insgesamt hat mir die Geschichte echte gut gefallen, aber ich hätte mir ein bisschen moralischen Zeigefinger gewünscht, und wenn auch nur in einem Epilog. Ich vergebe 4 Sterne.