Der Journalist Joost Bookmeyer war ein aufgeschlossener Mann! Er schrieb an einem Buch über Verschwörungsmythen, in dem er vor allem den Gründen nachging, aus denen Menschen an immer absurdere Theorien glauben wollen, die die Realität in Frage stellen, und sich ihre eigene zimmern. Für ihn waren diese Vorstellungen eine verzweifelte Flucht aus einer immer komplexer werdenden Welt, die sie zunehmend weniger verstehen und die ihnen Angst macht. Er nahm sie ernst, all diejenigen, die an Ufos glauben, an Außerirdische wie die Aldebaraner, die angeblich der Erde bereits einen Besuch abgestattet haben und von deren Wiederkunft als Retter sie überzeugt sind, an reptoloide Echsenwesen, die die Menschheit unterwandern, die der Hohlwelttheorie zugeneigt sind, mit Aluhüten umherlaufen und dergleichen mehr. Er verstand ihre Ängste vor 5-G-Masten, vor Chemtrails, davor, zu Impfungen aller Art gezwungen zu werden, ohne sie zu den seinen zu machen. Niemanden griff er an, niemanden verhöhnte er, machte sich schon gar nicht über sie lustig.
Warum also wurde er ermordet und auf einem Feld an der Nordsee, wohin er zu Recherchezwecken gereist war, nackt aufgefunden, mit einem seltsamen Zeichen auf der Brust, das alsbald als das Symbol für das Sternzeichen des Stiers identifiziert wurde? Und warum, mit Verlaub gefragt, wird der komplett durchgeknallte Gastwirt Hajo Rutkat, ein überzeugter Jünger all des Unsinns, den die Verschwörungstheoretiker so von sich geben und gerade der Mann, wegen dem der Journalist aus seinem Domizil Osnabrück hoch ans Meer gekommen ist, der ihm Wichtiges zu erzählen oder zu zeigen hatte, wenig später ebenfalls ermordet und seine Leiche auf die gleiche Weise zur Schau gestellt, wie die Bookmeyers?
Die beiden ermittelnden Kommissare, Tilmann Baer und Kira Jensen, stehen jedenfalls vor einem Rätsel! Und da Ermittlungen eben nicht, wie in den einschlägigen Krimis in Buch- und Filmform suggeriert wird, durch eine Aneinanderreihung von Geistesblitzen bestehen, genausowenig aus Enthusiasmus und übermotivierter Planlosigkeit, sondern vielmehr aus mühevoller Kleinarbeit, bei der man besser einen kühlen Kopf bewahrt, aus viel Geduld, ganz wie beim Schachspiel, so erläutert der Hauptkommissar sein Vorgehen seiner jungen Kollegin, dauert es eine ganze Weile, genauer gesagt bis kurz vor dem Ende des Küstenkrimis mit dem für mich völlig unersichtlichen Titel, bis sich die Nebel lichten, bis das kunstvolle Gebilde aus falschen Fährten und Spuren, die ins Leere laufen, entwirrt ist und die beiden Morde, bei denen es im Übrigen nicht bleiben wird, von den beiden Kommissaren aufgeklärt und der Mörder schließlich dingfest gemacht werden kann.
„Ankertod“ ist kein umfangreicher Krimi, doch ist er bis zum Rand vollgepackt mit Geschehnissen, mit Themen, mit Handlungssträngen, die man nicht so leicht durchschaut, deren Verbindungen erst ganz allmählich ersichtlich werden. Ein rechtes Puzzle, eines von der kniffligen Sorte, und die Geduld, die Baer von Jensen fordert, muss auch der Leser aufbringen, um durchzublicken. Kein Krimi zum Mitraten, denn der Autor hat nicht, nach Art des klassischen „Whodunnit“ a la Agatha Christie, versteckte Hinweise in die Handlung eingebaut, die dem cleveren Krimileser, selbst oft ein halber Detektiv, den Weg weisen. Lange blieb mir überdies unverständlich, was der zweite Handlungsstrang, in dem eine gewisse, reichlich verhuschte Eilika die Hauptrolle spielt, mit der Mordgeschichte um den Journalisten zu tun hat, was die Niedergeschlagenheit einer jungen Frau, die mit ihrem Café, dem Traum von der Selbständigkeit, gescheitert ist und das Ende der Welt gekommen sieht, zum Fortgang der Haupthandlung beiträgt. Nunja, beide Stränge werden schließlich zusammengeführt, denn beide sind sehr wohl miteinander verflochten, und zwar von Beginn an! Dennoch betrachte ich die Eilika-Geschichte als Schwachpunkt des für meinen Geschmack etwas zu vielschichtigen Romans, bei dem ich eine klare Linie vermisse. War die Haupthandlung alles in allem stimmig, so gilt das nicht für den Teil, in dem Eilika Trübsal bläst und deren Weinerlichkeit und Selbstmitleid nicht recht nachvollziehbar sind und die wirklich lernen muss, dass Niederlagen zum Leben gehören. Und, nebenbei gesagt, welchen Leuten man trauen kann und von welchen man sich besser fernhält....
Ersteres hingegen hat die Kommissarin Kira Jensen, sicher nicht viel älter als Eilika und mit viel mehr Berechtigung depressiv zu sein, verstanden. Sie wurde, wie man am Rande erfährt, als Kind vom eigenen Vater missbraucht, hat natürlich ein Trauma zu verarbeiten, sucht sich aber Hilfe und ist stets bemüht, ihr Leben im Griff zu behalten. Kira verdient jeden Respekt, auch wenn man ihre Tendenz zu Alleingängen, die zu Konflikten mit dem Vorgesetzten Baer führen, mit Skepsis betrachten kann.
Und damit komme ich zu dem stärksten Teil des verzwickten und verschlungenen Krimis mit der arg konstruierten Auflösung, nämlich zu dem Team Baer/Jensen! Team? Davon kann bis weit nach der Mitte der Handlung nicht die Rede sein! Sowohl der skeptische und schweigsame Baer als auch die sich um jeden Preis beweisen wollende Jensen sind Einzelgänger, zwar mehr oder minder zähneknirschend zur Zusammenarbeit bereit, aber eben nicht aus Überzeugung, zumal beider Herangehensweisen an die jeweiligen Fälle grundverschieden sind. Die Art und Weise, wie sie sich dennoch, nach einem gewaltigen Faux pas von Jensen, der es schwerfällt, sich an vereinbarte Regeln zu halten, allmählich zusammenzuraufen und schließlich gemeinsam an einem Strang ziehen, empfinde ich als glaubwürdig und überzeugend geschildert. Es sieht am Ende ganz danach aus, als könnten die beiden Polizisten zu einem richtig guten Team zusammenwachsen, bei dem jeder die Entscheidung des anderen mitträgt, selbst wenn sie eine Fehlentscheidung war, wie der zuerst uneinsichtigen Jensen von einem Kollegen erklärt wird, und was sie sich offensichtlich zu Herzen genommen hat. So gesehen bleibt zu hoffen, dass einer erfolgreichen Zusammenarbeit Kiras und Tilmans in weiteren Bänden nichts mehr im Wege stehen mag....