Das war ein sehr bewegendes Lesevergnügen und ein beeindruckendes Debüt. Erzählt wird die Geschichte der Familie Metzner in zwei Generationen. Zunächst stehen Cici und Sol im Vordergrund, die Frischverliebten, die für ihre gemeinsame Zukunft von ihrer eigenen Familien verstoßen werden und so ganz auf sich allein gestellt durchstarten. Ein Baby soll das Glück perfekt machen, doch dieses bleibt versagt - so kommt es zur Adoption von Cheri. Zeitsprung zu eben jener Cheri, die anläßlich ihres 40. Geburtstags über ihr bisheriges Leben, die aus verschiedenen Gründen komplizierte Beziehung zu ihren Eltern und die nicht weniger einfache Beziehung zu ihren Ehemann reflektiert.
Das ist schon fast der ganze Plot. Das soll nicht heißen, dass im Buch nichts passiert, im Gegenteil, es kommt zu vielen merkwürdigen, komischen und traurigen Situationen, vieles wird nacherzählt, die Kapitel springen in den Zeiten. Doch bei allem stehen die Charaktere im Vordergrund, sie sind es, nicht der Plot, die die Geschichte voran bringen. Das Buch stellt das Leben aller Charaktere und ihre Beziehungen untereinander sehr realistisch dar, mit allen Höhen und, vor allem, allen Tiefen. Es geht dabei vorrangig um Eltern-Kind- sowie Paarbeziehungen.
Das Verhältnis zu Cheri und ihren Eltern ist aus verschiedenen Gründen angespannt, neben zu lange verschwiegenen oder verdrängten Familiengeheimnissen und (un)bewusster Ablehnung bzw. empfundener Ausgrenzung gehören dazu Fragen wie: Wie viel Liebe muss ich geben, wie viel ist zuviel? Welche Erwartungen habe ich an mein Kind - vielleicht aus egoistischen Gründen, die im "Ich will doch nur dein Bestes"-Kontext verschleiert sind? Und: Welche Rolle spielt Blutsverwandschaft vs. Adoption?
Ähnlich facettenreich werden die Paarbeziehungen zwischen Cici und Sol (Cheris Eltern) als auch Cheri und ihrem Mann dargestellt. Was kommt nach der ersten großen Verliebtheit, also da, wo die meisten Romane enden? Was ist, wenn der Alltag Einzug hält? Die Gewohnheit? Die Liebe sich auf andere Dinge "verschiebt"? Wie viel kann/muss/darf eine Ehe aushalten?
Wer an derartigen Überlegungen Gefallen hat, ist mit diesem Buch sehr gut bedient. Cheri ist keine strahlende Titelheldin, sondern eine mit echten Ecken und Kanten, und ich fand es sehr spannend nach und nach zu verstehen, wie sie (und ihre Eltern) zu der wurde, die sie ist. Mit jeder Seite konnte ich mich besser in die Geschichte einfühlen und, fast ohne dass ich es bemerkt habe, war ich so gepackt, dass ich beim Kapitel "Michael" weinen musste - das war sehr bewegend und so... echt.
Sehr gut haben mir auch die Verknüpfungen mit zeitgeschichtlichen Ereignissen gefallen, die die inneren Strapazen der Familie quasi weltpolitisch widerspiegeln (Kubakrise in den früheren Kapiteln, drohender Irakkrieg in den späteren).
Und dann kam der Epilog - ein kleiner Meisterstreich der Autorin, der die zuvor gelesenen knapp 500 Seiten noch einmal in einem völlig neuen Licht erscheinen lassen und noch eine extra Schippe Verständnis und Mitgefühl für die Charaktere draufpackt.
Ein empfehlenswertes Debüt!