Trauer ist Liebe zu dem, den man verloren hat
Juni kehrt ins Haus ihrer verstorbenen Großeltern auf einer kleinen norwegischen Insel nahe Kragerǿ zurück. Sie hat in den letzten Jahren nicht nur ihre geliebten Großeltern, sondern auch ihre Mutter verloren. ...
Juni kehrt ins Haus ihrer verstorbenen Großeltern auf einer kleinen norwegischen Insel nahe Kragerǿ zurück. Sie hat in den letzten Jahren nicht nur ihre geliebten Großeltern, sondern auch ihre Mutter verloren. Juni hat kurz vorher festgestellt, dass sie schwanger ist, und zu dem Zeitpunkt ist sie sich sicher, das Kind von ihrem Mann, mit dem sie gerade große Probleme hat, nicht austragen zu wollen.
Sie hat im Haus der Großeltern unbeschwerte Zeiten verbracht, hatte aber auch immer das Gefühl, Mutter und Großmutter nicht wirklich zu kennen. Vor allem gab es da die ständigen Auseinandersetzungen zwischen Großmutter und Mutter.
Das Haus bedarf einer Aufräumaktion und so macht sich Juni ans Werk. Dabei stößt sie auf alte Fotografien, die weitere Fragen aufwerfen, denn sie zeigen ihre Großmutter an der Seite eines deutschen Soldaten. Das Bild muss gegen Ende des 2. Weltkriegs aufgenommen worden sein.
Ins Nachbarhaus ist unterdessen ein junger Historiker eingezogen, der sich gerade von seiner Frau getrennt hat. Er bringt den nötigen Elan und die Neugier mit, diesen Fragen auf den Grund zu gehen.
Die Nachforschungen führen die beiden in den Osten Deutschlands und in die unmittelbare Nachkriegsgeschichte des sich gerade teilenden Landes und ich lerne von einer Norwegerin einen Teil der deutschen Geschichte kennen, der mir selbst fremd war.
Das Buch ist in verschiedenen Zeitebenen geschrieben, optisch hervorgehoben durch verschiedene Schrifttypen. Solange es um Tekla geht, wird von ihr in der 3. Person berichtet, Juni in der Gegenwart ist Ich-Erzählerin.
Trude Teiges Buch ist ein Werk, bei dem man anfängt zu recherchieren und so habe ich auf den Seiten des Deutschlandfunks, aber auch in namhaften Publikationen Aufsätze über die Zeit gefunden. Rückblicke 70 Jahre nach Kriegsende, aber auch Eingeständnisse, dass noch lange nicht alles aufgearbeitet ist, was hätte aufgearbeitet werden können. Der Hass der Norweger entzündete sich jahrzehntelang an den jungen Mädchen, die sich mit deutschen Soldaten eingelassen hatten, sie zum Teil auch geheiratet hatten und Kinder mit ihnen in die Welt gesetzt hatten. Erst 70 Jahre nach Kriegsende hat sich die norwegische Ministerpräsidentin für die Verfolgungen dieser Zeit, den Entzug der norwegischen Staatsbürgerschaft, das Scheren der Haare, die Unterbringung in Lagern und die Vertreibung aus Norwegen entschuldigt.
Ich hätte nie gedacht, dass die Norweger nach dem Krieg den Deutschen so viel Hass entgegenbrachten. Die Erinnerung mag beeinflusst sein von Willy Brandt, der dort während des Krieges Zuflucht fand. So sah ich die Norweger als mehr oder weniger neutral, jedenfalls aber nicht als so deutschfeindlich an.
Trude Teiges Buch zeigt aber auch – einmal abgesehen von den geschichtlichen Fakten – wie sehr die Vergangenheit Menschen in der Gegenwart noch prägen kann. Lilla, Junis Mutter, spürte trotz gegenteiliger Beteuerungen immer eine gewisse Ablehnung Teklas ihr gegenüber und wurde davon geprägt. Tekla wird, wann immer sie ihre Tochter sah, an Demmin zurückgedacht haben. So konnte zu dem Kind nie eine vorurteilsfreie Liebe entstehen. Obwohl Lillas Situation nur angerissen wird, scheint es mir in ihrem Fall ähnlich gewesen zu sein und nun soll Juni sich für oder gegen ein Kind entscheiden und es besteht die Gefahr, das Trauma weiter zu vererben.
Für mich war das Buch ein Exkurs in die deutsch-norwegische Geschichte, in einen unbekannten Teil deutscher Nachkriegsgeschichte unmittelbar nach Kriegsende, aber auch ein Appell für mehr Offenheit miteinander.