Von Spinnenstichen, Einsiedlerinnen und einer Magellanschen Brigadereise....
Vorwegnehmen muss ich, dass Fred Vargas seit ihren Kehlweiler-Krimis, heute zusammengefasst in "Die drei Evangelisten" (1991 ff) meine absolute Lieblings-Krimiautorin ist - und mittlerweile viele Preise ...
Vorwegnehmen muss ich, dass Fred Vargas seit ihren Kehlweiler-Krimis, heute zusammengefasst in "Die drei Evangelisten" (1991 ff) meine absolute Lieblings-Krimiautorin ist - und mittlerweile viele Preise (nicht zu Unrecht) erhalten hat, da sie faszinierende Krimis schreibt (wenn auch leider nur in ihren Ferien), die sich stets mit aktuellen, gesellschaftlich hochbrisanten Themen beschäftigen. Auch hier habe ich mit 'beaucoup de plaisir' Adamsberg und seine Brigade criminelle begleiten dürfen, der wieder einmal - mit dem Kopf noch in Island, wo der letzte Fall gelöst werden konnte - einen äußerst kniffligen Fall klären muss:
Um neuen LeserInnen die einzelnen Mitarbeiter der Brigade vorzustellen, wird dem eigentlichen Thema, dem mysteriösen Tod zwei alter Männer im Süden Frankreichs, ein dubioser Mord an Madame Carvin vorangestellt, der jedoch "mit links" und im Handumdrehen gelöst ist: Das Wiedersehen (oder Kennenlernen) von Froissy, Mercadet, Estalère, Lamarre, Mordent und besonders mit Veyrenc (seines Zeichen ebenfalls ein Kind der Pyrenäen und sich daher blind mit Adamsberg verstehend) - und ganz besonders mit dem Stellvertreter des Kommissars; den Meister der Worte - Commendant Danglard sowie der "vielseitigen Göttin" Retancourt (beide sind meine beiden Vargas'schen Lieblingsfiguren neben Adamsberg) machten mir besonders viel Freude:
Albert Barral und Fernand Claveyrolle starben nach einem Stich der Einsiedlerspinne, was den Hobby-Zoologen Voisenet irritiert. Zufällig (oder auch nicht) bemerkt Adamsberg, dass Voisenet die Zeitungsartikel über diese beiden Fälle verfolgt - und nachdem klar ist, dass ein Biss dieser Spinne eigentlich nicht ausreicht, um einen Menschen zu töten, begibt sich Adamsberg (den solch ungewöhnlichen Fälle magisch anziehen) auf die Spurensuche: Wie sich herausstellt, kannten sich die beiden Alten und eine Fährte verweist auf ein Waisenhaus, in dem beide bereits als Kinder ihr Unwesen trieben, gemeinsam mit einer Bande anderer, die Spaß daran hatten, Schwächere zu quälen - und die im Teenageralter dazu übergingen, auch vor Gewalt an Mädchen und Frauen nicht haltzumachen: Wo ist die Verbindung, wo das Motiv -und wie kann Adamsberg und ein Teil der Brigade (inoffiziell, da der Leiter der Kommission nicht eingeweiht wurde) Licht in den zeitweise undurchdringlichen Nebel bringen? (Einer seiner Eigenschaften ist es, normalerweise sehr gut im Nebel sehen zu können - aufgrund seiner aufsteigenden Gasbläschen, die sog. Proto-Gedanken seines Gehirns, die nur so blubbern ;) Hier aber ist die Lage vertrackt - und wird auch nicht besser, als Danglard sich gegen seinen Chef stellt und alles zu sabotieren droht (normalerweise sind die beiden beste Freunde)... - in diesem Fall aber wird Adamsberg erst zum Ende des Romans durch "handfeste Beweise" herausbekommen, dass sein Stellvertreter doch nicht zu einem Arsch mit Danglardschen Ohren geworden ist... Besonders interessant ist in diesem Fall die Vargas'sche Art der Wortspiele: Eine Einsiedlerin oder Rekluse gab es im Mittelalter - und eine Spinnenart ist ebenfalls benannt als Einsiedlerspinne, da sie sich sehr selten zeigt - und lieber im Verborgenen lebt....
Adamsberg laviert sich nun auf einer Art Magellanschen Reise, viele Meerengen und geschlossene Buchten vorfindend, durch diesen durchaus kniffligen Fall, in dem es vor Blapsen nur so wimmelt; in dem Adamsberg sich seinem eigenen Ich als 12jähriger stellen muss, um am Ende den Fall erfolgreich lösen zu können. Nach Vargas'scher Manier werden sehr ernste Themen (Gewalt gegen Kinder und Frauen; Menschen, die diese über Jahre decken, oftmals die Mütter; die Einkerkerung der Opfer über Jahre) angesprochen bzw. nehmen Bezug zu diesem Fall auf: Dabei gelingt es der Autorin, sich dieser grauenhaften Thematik anzunähern, indem sie die witzigen Dialoge und die zahlreichen "Macken" der Brigade wie auch mancher Nebenfigur dem Ernst der Lage gegenüberstellt; ihr damit eine gewisse Leichtigkeit entgegensetzt, auch wenn Adamsberg darüber belehrt wird, dass auch er neurotisch ist, da alle Menschen neurotisch seien.
Selbst die Nebenhandlungen haben immer einen Bezug zu den Morden an den alten Männern bzw. zum Thema: Gewalt an Frauen. Hier wird auch die begnadete Datenexpertin und stetig Sorge tragende Mitarbeiterin, dass auch genug zu essen in der Brigade ist, Heléne Froissy, belästigt - bis sich ihr Chef höchstpersönlich (auf Bitten von Retancourt) darum kümmert und die Belästigung augenblicklich aufhört.
Fazit:
Ein wiederum rundum gelungener, mich zum Dauerschmunzeln bringender, lehrreicher und historisch interessanter Kriminalroman, den ich sehr gerne gelesen habe und weiterempfehlen möchte: Allerdings würde ich mit den ersten Adamsbergs Krimis der Reihe beginnen, sollte man noch kein Fred Vargas Fan sein ;)
Danglard und auch Retancourt - meine Lieblingsfiguren - fehlten mir ein wenig in diesem Band, aber ich bin zuversichtlich, dass beide im nächsten Vargas-Krimi wieder ihre gewohnten Rollen einnehmen ;) Wenn es mehr Adamsbergs mit Proto-Gedanken gäbe, wäre die Zahl der Blapse (Stinkkäfer) vermutlich nicht so hoch. Ein chapeau und ein merci beaucoup für beste und auch intelligente sowie gewohnt witzige Krimi-Unterhaltung und 5* Sterne!