Unterhaltsamer Roman mit ungewöhnlicher Erzählstruktur
Auf diesen Roman war ich auf Grund des Settings und der Erzählform sehr gespannt. „Shanghai Story“ spielt, logischerweise, in Shanghai und erzählt seine Geschichte rückwärts, beginnt also mit dem zeitlichen ...
Auf diesen Roman war ich auf Grund des Settings und der Erzählform sehr gespannt. „Shanghai Story“ spielt, logischerweise, in Shanghai und erzählt seine Geschichte rückwärts, beginnt also mit dem zeitlichen Ende im Jahr 2040, und geht dann zurück in der Zeit bis ins Jahr 2014.
Das ist ungewöhnlich, wenn auch jetzt nicht ganz neu. Ich habe schon andere Romane mit diesem Aufbau gelesen und fand schon manchmal, dass dabei Spannung verloren geht, wenn der Ausgang von Anfang an feststeht.
Ich würde nicht sagen, dass das auf „Shanghai Story“ zutrifft, weil der Roman nicht handlungsgetrieben ist, sondern vielmehr eine Liebes- und Familiengeschichte rückwärts erzählt.
Allerdings gehe ich nach dem letzten Kapitel noch mal zurück an den Anfang und lese den ersten Abschnitt, damit der Kreis sich schließt.
Ich begleite die Familie von Leo, einem Geschäftsmann und Statiker (!!!) aus Shanghai, und seine Frau, die Japanerin Eko, sowie ihre drei gemeinsamen Töchter Yumi, Yoko und Kiko zurück zur Entstehung der Familie.
Ich lese wie die jungen Frauen wieder zu Mädchen und dann zu Ungeborenen werden, was sie in ihrer Kindheit und Jugend erleben und wie sich die Beziehung zwischen Leo und Eko verändert.
Juli Min glänzt dabei in ihrem Debütroman mit einem multiperspektivischen Ansatz, den ich sehr gelungen finde. Denn nicht nur die Familienmitglieder werden porträtiert sondern in den einzelnen Kapitel kommen auch Personen aus dem näheren Umfeld der Familie zu Wort. Dadurch entsteht ein buntes und lebendiges Bild aus den verschiedensten Schichten und Zeiten Shanghais.
Allerdings finden sich wenig bis keine gesellschaftskritische Ansätze in dem Roman und auch stilistisch besticht Mins Text nicht mit literarischer Finesse, was ich aber nicht negativ bewerte. Als störender empfinde ich den starken und unreflektierten Fokus der Figuren auf die Bewertung von Aussehen und Gewicht, der in meiner Lesart nicht in einem kritischen Kontext steht.
Bei mir kann der Roman durch seinen Unterhaltungsfaktor und dem zeitenumspannenden Konzept punkten. Min stellt damit heraus, wie sehr wir selbst und vor allem unsere Beziehungen den Veränderungen unterworfen sind, die wir zwangsläufig durchlaufen und zeigt auch wie wertvoll die Zeiten der Liebe in unserem Leben sein können.
„Das also war Liebe: das Gefühl, wie Zeit sich aus einem Moment entfaltet.“