(K)Ein Buch für eine Depression?
Marlen Haushofers „Die Wand“ war unser Juni-Buch im feministischen Buchclub. Das Buch ist nicht neu, sein Inhalt vielen bekannt, und wer noch nie von diesem Werk gehört hat, dem sei die Handlung mit wenigen ...
Marlen Haushofers „Die Wand“ war unser Juni-Buch im feministischen Buchclub. Das Buch ist nicht neu, sein Inhalt vielen bekannt, und wer noch nie von diesem Werk gehört hat, dem sei die Handlung mit wenigen Worten erklärt: Eine Frau besucht ihre Cousine in den Bergen, eines Morgens wacht sie auf und findet Weg ins Dorf von einer durchsichtigen Barriere versperrt. Was sie fortan als die Wand bezeichnet, trennt sie vom Rest der Welt, der auf der anderen Seite zu leblosen Figuren erstarrt ist. Und innerhalb dieser Wand lebt sie als letzter Mensch mit einigen Tieren, um die sie sich kümmert.
Was die Wand in Marlen Haushofers wohl bekanntestem Werk ist, darüber ist sich die Literaturwissenschaft bis heute nicht einig. Die Wand ist eine Grenze, klar, aber zu wem oder was? - Ich glaube, die Wand bedeutet für jede:n etwas anderes, und das auch in verschiedenen Stadien des eigenen Lebens. Ich habe das Buch erstmals vor 15 oder 16 Jahren gelesen, als ich in meinen Zwanzigern war. Damals habe ich gerade eine Depression hinter mir gehabt, für mich war die damals gelesene Wand eine Entfremdung; keine Verbindung zu den Menschen in unmittelbarer Nähe zu haben. Was für eine Ironie, dass ich mich aktuell in einer ähnlichen Situation befinde und mich an manchen Tagen dem Gefüge der Welt entzogen fühle.
Entsprechend schwer fiel es mir, das Buch erneut in dieser Lage zu lesen und darüber zu sprechen. Meine gegenwärtige Einsamkeit ist mir so fremd und ängstigt mich, denn in dem Alleinsein meines Lebens als selbstgewählter Single mit gemütlicher Wohnung gab es kaum Momente, in denen ich mich tatsächlich einsam gefühlt hab. Und während sich meine Tränen Bahn gebrochen haben, fand ich in den anwesenden Frauen des Buchclubs einen so wohltuenden Trost. Ein bisschen hab ich mich der Welt wieder näher gefühlt, und glaube: das geht vorbei.
Haushofers Roman ist so viel mehr. Er ist Emanzipation von einem früheren Leben und einer Weiblichkeit, die sowohl die Protagonistin als auch ihre Erschafferin als einschränkend und hinderlich wahrnehmen. Das frühere Leben als Frau, deren Sphäre Heim und Kinderbetreuung sind, streift sie ab, um so gut es geht im Einklang mit der Natur zu leben, in der sie die ihr anvertrauten Tiere nicht nur versorgt, sondern auch als Gefährt:innen wahrnimmt, und um Felder zu bestellen. Durch den Mangel an handwerklichen und praktischen Fähigkeiten und die nie verschwindende Abscheu, Wild töten zu müssen um der Nahrung Willen wird Haushofers Protagonistin nicht zu dem, was einen Mann ausmacht, ist aber auch keine Frau mehr. Sie wird zu einem geschlechtlosen Wesen zwischen den beiden Polen der früheren Zivilisation, die hinter der Mauer verschwunden ist.
Für diesen Roman gibt es keine richtige und keine falsche Zeit, um es zu lesen. Der Moment ist immer richtig, weil man zu jedem Zeitpunkt etwas anderes für sich aus der Geschichte ziehen wird.