Die Melodie der Wahrheit
"Melody" hat mir sehr viel Freude bereitet. In eleganten Sätzen und gehobener Atmosphäre wird der Leser in das Mysterium der verschwundenen Melody, einst Verlobte des überaus erfolgreichen Dr. Stotz, eingeführt. ...
"Melody" hat mir sehr viel Freude bereitet. In eleganten Sätzen und gehobener Atmosphäre wird der Leser in das Mysterium der verschwundenen Melody, einst Verlobte des überaus erfolgreichen Dr. Stotz, eingeführt. Dieser steht am Ende seines Lebens und engagiert den jungen Juristen Tom, um die Zeugnisse seines Lebens in eine sinnvolle und vor allem präsentable Form zu bringen - auf den ersten Blick ein typischer Fall von erwünschter positiver Selbstinszenierung. In zahlreichen Sitzungen zwischen Wein und anderen Spirituosen, untermalt von hervorragender italienischer Küche, enthüllen Tom und Dr. Stotz das Rätsel um Melody Schicht für Schicht.
Die augenscheinliche Obsession des alten Mannes mit seiner spurlos verschwundenen Liebe hat mich sehr fasziniert. Die wie ein Krimi anmutende Handlung ist spannend - auch wenn sie in einem vermeintlich ruhigen Gewand daherkommt. Der Leser kann nicht umhin, selbst Vermutungen zum Verbleib Melodys anzustellen - nicht zuletzt, weil man auch von Dr. Stotz in eine bestimmte Richtung gelenkt wird. An der Seite von Tom erfährt man dennoch auch Frustration, denn erfahren kann man über Melody immer nur so viel, wie Dr. Stotz preiszugeben bereit ist. Dass die krimiartige Handlung auch den ein oder anderen Twist aufbietet, ist natürlich ein absoluter Bonus - zumal der Roman so durchkomponiert ist, dass ihm auch im letzten Drittel nicht die Luft ausgeht.
Die Figuren sind insgesamt erstaunlich problemfrei - geschuldet ist dies sicherlich der Tatsache, dass das gesamte Personal des Romans sich im Luxusbereich bewegt. Auch wenn Dr. Stotz unheilbar krank ist, echte Empathie oder gar Trauer kommen im Angesicht dieses bedrückenden Umstands nicht auf. Es ist ein fait accompli über den es sich offensichtlich nicht zu diskutieren lohnt. Das wäre denn auch mein einziger Kritikpunkt an dem Roman: eine rechte Identifikation oder Involviertheit mit den Figuren kommt nur schwer zustande. Selbst der eher durchschnittlich anmutende Tom interessierte mich als Charakter nur mäßig. Einzig die große Unbekannte - Melody - sticht aus diesem Kreis reizvoll heraus, sie ist Dreh- und Angelpunkt des eigentlichen Anliegens des Textes: der Frage nach der persönlichen Wahrheit. Denn eins wird in "Melody" deutlich: Wahrheit ist immer das, was ich dafür halte.
Insgesamt, ganz besonders aufgrund dieser spannenden Diskussion des Wahrheitsgedanken, eine sehr empfehlenswerte und unterhaltende Lektüre, gut geschrieben und fein unterhaltend.