Die Legende vom Alten Tom – ein raffinierter Mystery-Krimi in der Tradition Agatha Christies
„Der Aussätzige hat einen Altar gebaut. Es scheint ganz so, als nähme der Alte Tom von diesem Schiff Besitz“ (ebook, Kapitel 32)
Meine Meinung:
1634, Batavia (heute: Jakarta), Java. Jan Haan, Generalgouverneur ...
„Der Aussätzige hat einen Altar gebaut. Es scheint ganz so, als nähme der Alte Tom von diesem Schiff Besitz“ (ebook, Kapitel 32)
Meine Meinung:
1634, Batavia (heute: Jakarta), Java. Jan Haan, Generalgouverneur der mächtigen Vereinigten Niederländischen Ostindien-Kompanie, tritt mitsamt seiner Familie die Reise nach Amsterdam auf der „Saardam“ an. Doch schon am Hafen prophezeit ein Aussätziger, dass diese Reise verflucht sei. Und kaum ist das Hauptsegel entrollt, prangt darauf das Zeichen eines als „Alter Tom“ gefürchteten Dämons…
Stuart Turton präsentiert eine ganz außergewöhnliche Geschichte, die ich am ehesten als fiktiv-historischen Mystery-Krimi bezeichnen würde. Bereits der Ausgangspunkt mit der geheimnisvollen Verfluchung am Hafen sorgt sowohl für Spannung als auch für ein flaues Bauchgefühlt und beides steigert sich immer mehr, je länger die unselige Reise auf der holländischen Galeone andauert. Geschickt zeichnet der Autor ein düsteres, unheilvolles Bild von dem Leben auf dem Schiff. Es ist eigenständiger Kosmos, eine ganz besondere, kleine Welt mit ihren eigenen, oft brutalen Regeln und Gesetzen – inmitten der Unendlichkeit des stets lebensbedrohlichen Ozeans. Verschiedene Subgesellschaften prallen hier aufeinander und die Atmosphäre scheint stets zum Zerreißen gespannt. Wenige reiche, privilegierte Passagiere, viele arme Passagiere, ein Trupp raubeiniger Söldner zum Schutz des Generalgouverneurs und eine Mannschaft, die größtenteils aus Halunken und ehemaligen Verbrechern besteht. Ein Mix, bei dem schnell klar wird, dass das zusammengepferchte Miteinander auf der monatelangen Reise nach Amsterdam immer mehr zu einem Pulverfass werden wird. Ein wirklich geniales, stets bedrohliches Setting, dass Stuart Turton mit einem wortgewaltigen Schreibstil sehr atmosphärisch zum Leben erweckt (“Das Flüstern kroch an den Wänden hoch und an der Decke entlang und lief auf tausend Beinen über ihren Körper.“).
Je weiter die Geschichte voranschreitet, desto stärker mehren sich die Mystery-Elemente. Unerklärliche Erscheinungen, gruselige Ereignisse ein eine wortlose Angst, die immer mehr um sich greift. Dazu ein bunter Strauß außergewöhnlicher und starker Charaktere, bei denen nicht immer klar ist, welches – oder wessen – Spiel sie hier eigentlich spielen. Besonders gut gelungen sind dem Autor hier für meinen Geschmack nicht nur das wunderbare Protagonisten-Duo aus Sara Wessel, der blitzgescheiten, ungeliebten Ehefrau des Generalgouverneurs, und Leutnant Arent Hayes, der bislang „nur“ das schlagkräftige Schutzschild des selbsternannten Problemmatadors Samuel Pipps gewesen ist und nun auf endlich auf sich selbst vertrauen muss. Auch weitere Protagonisten, wie etwa der Haudegen Jacobi Drecht, der gockelhafte Kapitän Adrian Crauwels oder der gewissenlose Hochbootsmann Johanney Wyck wissen durchaus zu faszinieren.
Der Sog, der wie ein Strudel von dieser Geschichte ausgeht, wird immer größer, je öfter uns der Autor eine überraschende Wendung präsentiert und je mehr sich diese Geschichte ihrem großen Finale nähert. Am Ende werden wir als Leser*in mit einer wahrlich verblüffenden Auflösung belohnt, die den Klassikern von Agatha Christie für meinen Geschmack in nichts nachsteht! Wirklich klasse gemacht!
FAZIT:
Ein extremes Setting, faszinierende Charaktere und eine raffinierte Story mit überraschendem Twist. Genial gemacht!