Eine facettenreiche und fesselnde Charakterstudie
Handlung: Nachdem ich letztes Jahr im Sommer die Netflix-Miniserie "The Queen´s Gambit" begeistert verschlungen habe, stand für mich fest, dass ich auch die Buchvorlage dringend lesen muss. Schon nach ...
Handlung: Nachdem ich letztes Jahr im Sommer die Netflix-Miniserie "The Queen´s Gambit" begeistert verschlungen habe, stand für mich fest, dass ich auch die Buchvorlage dringend lesen muss. Schon nach wenigen Kapiteln habe ich bemerkt, dass die Serie nur ganz leichte Abweichungen der Handlung vorgenommen hat und ich deshalb bei beinahe jeder Szene sofort ein getreues Abbild aus der Serie vor Augen hatte. So bot der erneute Gang durch Beths Leben zwar nur wenige Überraschungen, ich wurde aber umso mehr zurück in die fesselnde Atmosphäre gesogen, die die Serie bereits aufgebaut hatte.
Schreibstil: Walter Tevis schreibt sehr nüchtern und beinahe emotionslos, sodass sich dieser Roman mehr wie eine Aneinanderreihung von Geschehnissen wirkt als eine lebendige Erzählung. In Kombination mit den häufig seitenweisen Schachbeschreibungen, über die ich als Laiin nur grob hinweggelesen habe, hätte mich die Geschichte also eigentlich nicht besonders fesseln sollen. Allerdings entwickelt die Geschichte egal ob im Buch oder in der Serie durch subtile Andeutungen und raffinierte Zeitsprünge dennoch eine Sogwirkung, die selbst nicht-Schach-Fans mitfiebern lässt. Die Besessenheit der Figur mit diesem Spiel, die Herangehensweise des Lernens, das Spielen im Kopf und die Rolle als Rettungsanker in einem ansonsten von derben Rückschlägen geprägten Leben hat mich inhaltlich an Stefan Zweigs "Schachnovelle" erinnert, welche mich damals beim Lesen ebenfalls sehr fasziniert hat. Dabei erzählt der Roman genau wie die Serie trotz des Settings in den 60er Jahren eine feministische und moderne Geschichte einer Frau, die sich trotz schlechter Startvoraussetzungen, Kindheitstraumata und Substanzabhängigkeit an die Spitze einer männerdominierten Domäne kämpft. Dennoch merkt man am Umgang mit einigen Themen sowie vereinzelten Formulierungen, dass der Roman bereits 1983 veröffentlicht wurde. Denn hin und wieder scheinen klassische Rollenbilder und internalisierter Rassismus leicht durch und zusätzlich gibt es eine fragwürdige Szene, die scheinbar ohne Grund zu Beginn auftaucht und nie aufgearbeitet wird, welche in einer Neuveröffentlichung wohl nicht vorkommen würde und auch in der Serie gestrichen wurde.
Figuren: In der Serie habe ich bereits sehr großen Gefallen an der Hauptfigur Beth Harmon gefunden, die erstklassig von Anya Taylor-Joy verkörpert wird. Die Darstellerin vermochte es nuanciert die Höhen und Tiefen in der Entwicklung und Erfolgsgeschichte ihrer Figur darzustellen und Beth zu einer komplexen Figur mit einer faszinierenden Mischung aus Verletzlichkeit, Intelligenz und Ehrgeiz zu machen. Auch im Roman werden die vielen Facetten von Beths Charakter großartig gegenübergestellt: die Dämonen der Figur, die sich in Alkohol- und Drogensucht äußern und dem Rausch des Sieges einen bitteren Beigeschmack verleihen, der schmale Grat zwischen Genie und Wahnsinn und zuletzt die Beziehungen zu den Nebenfiguren, die das langsame Erwachsenwerden der Figur begleiten. Allerdings hat mir hier an einigen Stellen etwas Tiefe gefehlt, da der Autor mit seiner nüchternen Erzählweise über viele emotional schwierige Szenen in Beths Leben ziemlich schnell hinweggeht. Beths Emotionen und Gedanken bei tiefen Einschnitten in ihrem Leben wurden für mich in der Serie deutlicher als im Roman, weshalb ich mir nicht sicher bin, ob die Geschichte auf mich einen ebenso großen Eindruck hinterlassen hätte, wenn ich die Serie zuvor nicht bereits gesehen hätte. So konnte ich gedanklich Leerstellen mit meiner Erinnerung aus der Serie füllen und die Geschichte trotzdem vollends genießen.
Die Zitate
“It's an entire world of just 64 squares. I feel safe in it. I can control it; I can dominate it. And it's predictable. So, if I get hurt, I only have myself to blame.”
“She was alone, and she liked it. It was the way she had learned everything important in her life.”
“My experience has taught me that what you know isn’t always important.” “What is important?”
“Living and growing,” Mrs. Wheatley said with finality. “Living your life.”
“And what did being women have to do with it? She was better than any male player in America. She remembered the Life interviewer and the questions about her being a woman in a man's world. To hell with her; it wouldn't be a man's world when she finished with it.”
Das Urteil:
"Das Damengambit" ist eine facettenreiche und fesselnde Charakterstudie über den Werdegang des fiktiven Schachgenies Beth Harmon, dessen nüchterner Schreibstil man allerdings mögen muss. Fans der Serie werden hier voll auf ihre Kosten kommen, andere könnten sich womöglich am nicht ganz zeitgemäßen Umgang mit einzelnen Themen sowie fehlender Tiefe in ausgewählten Szenen stören. Für mich handelt es sich hier also um einen der wenigen Fällen, in dem die Verfilmung tatsächlich besser gelungen ist als die Buchvorlage!