Messerscharfer und zugleich sanfter Roman einer Ausnahmeautorin
Anne Tyler war mir bislang nicht bekannt und ich bin froh, dass sich das nun geändert hat. Was für eine großartige Schriftstellerin mit einem riesigen Talent für geschliffen scharfe Worte, die exakt ins ...
Anne Tyler war mir bislang nicht bekannt und ich bin froh, dass sich das nun geändert hat. Was für eine großartige Schriftstellerin mit einem riesigen Talent für geschliffen scharfe Worte, die exakt ins Schwarze treffen! Mit „Drei Tage im Juni“ hat sie ein Familienporträt geschaffen, welches zwar ohne großes Drama auskommt, aber deshalb nicht minder unterhaltsam ist.
Vor allem das zentrale Paar, bestehend aus Gail und ihrem Ex-Mann Max, hat einfach einen ganz besonderen Vibe, wie er selten in Büchern zu finden ist. Die beiden sind auf der einen Seite sehr verschieden. Gail ist eher verschlossen, reserviert, vorsichtig und ängstlich, während Max spontan, offen, lebensfroh und etwas naiv zu sein scheint. Und doch funktionieren sie auf der anderen Seite auch nach der Scheidung noch so, als wäre es nie anders gewesen. Ich sah mich beim Lesen fast neben ihnen stehen und das viele Nonverbale beobachten, welches die Autorin hier geschickt zwischen den Zeilen vermittelt.
Und das ist wirklich, was mich am meisten beeindruckt hat: Tyler vermag es, mit wenigen Worten absolut authentische Menschen und Lebenssituation zu zeichnen. Es wirkte fast, als hätten die Figuren selbst den Text geschrieben, so greifbar war jeder Satz. Die ganze Handlung beschränkt sich auf drei Tage: den Tag vor der Hochzeit der gemeinsamen Tochter, die Hochzeit selbst und den Tag danach. Es passiert wenig Großes und viel Kleines. Besonders geliebt habe ich natürlich, dass eine Tierschutz-Katze hier ein ganz bestimmtes Herz gewinnt. ❤️
Weder Schreibstil noch Handlung sind sonderlich romantisch und trotzdem war das Lesen eine absolute Wohltat. Die Autorin lässt Raum für Figuren, die Fehler machen; Raum für Überlegungen, Scheitern, Zusammenfinden, Gemeinsamkeiten und Konflikte. Ich fand vor allem den subtilen Humor zwischen Gail und Max einfach nur herzerwärmend und habe an einigen Stellen ordentlich lachen müssen, obwohl es kein Humor ist, der mit einem großen Gong daherkommt. Stattdessen sind es einfach die Feinheiten, mit denen sich die beiden aufeinander beziehen und trotz der Trennung vor vielen Jahren einfach so gut kennen wie kaum jemand sonst.
Ein Buch mit einer leisen Handlung, unvergleichlich präziser Sprache und ganz viel Liebe für seine Figuren, die bereits Einiges an Lebenserfahrung mitbringen. Ich habe jeden Satz geliebt!