Ein Dorf leistet Widerstand
Das fiktive Dorf Kosawa liegt irgendwo in Afrika. Normalerweise würde ich "africa is not a country!" protestieren, wenn wieder einmal ein ganzer Kontinent mit mehr als 50 Staaten und einer Milliarde Menschen ...
Das fiktive Dorf Kosawa liegt irgendwo in Afrika. Normalerweise würde ich "africa is not a country!" protestieren, wenn wieder einmal ein ganzer Kontinent mit mehr als 50 Staaten und einer Milliarde Menschen verallgemeinert wird. Aber das ist in Imbolo Mbues Roman "Wie schön wir waren" ja gar nicht der Fall. Zum einen, weil die in Kamerun geborene und in den USA lebende Autorin sicherlich genug eigene Erfahrungen mit diesem Blick auf Afrika hat und nicht vorhat, ihn zu spiegeln. Zum anderen, weil Kosawa in so vielen Ländern liegen könnte, für die reiche Öl- und andere Rohstoffvorkommen Reichtum und Fluch zugleich sind - Nigeria oder Südsudan, Kongo oder Niger und auch in der Heimatregion Mbues wurde Öl gefunden.
Die Entdeckung und Förderung von Öl durch einen ebenfalls fiktiven amerikanischen Konzern verändert das Leben in Kosawa. Zwar setzen die Bewohner ihren traditionellen Lebensstil fort, geprägt durch die Jagd, Ahnenkult, Landwirtschaft. Doch dann werden die Menschen krank und sterben, im Fluss sterben die Fische, Öl tropft auch leckenden Pipleines auf Felder, auf denen Mais und andere Lebensmittel angebaut werden. Vergeblich beschweren sich die Menschen von Kosawa bei ihrem Oberhaupt, der selbst von der Ölförderung profitiert, da seine Söhne dort gutbezahlte Arbeit bekommen haben. Bis eine Gruppe von Männern, angeführt ausgerechnet vom Dorfidioten, beim Besuch dreier Vertreter der Ölfirma zur Tat schreiten Doch die Entführung der Männer hat schreckliche Folgen.
Die Handlung beginnt in den 80-er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, liegt also nur etwas über eine Generation zurück. Und dennoch wirken die Menschen von Kosawa wie aus einer viel länger zurückliegenden Zeit, mit ihrem Nabelknäuel, mit dem Glauben an den Großen Geist und ihren Sitten. Der rasante Wandel auf dem Kontinent hat mittlerweile auch solche Dörfer verändert, das macht auch der weitere Verlauf des Buches deutlich. Mit vielen Details und bildreichen Beschreibungen gibt es trotzdem einen faszinierenden Einblick in die alte Gesellschaft und Lebensweise, die mittlerweile auch in entlegenen Dörfern schon stark gewichen ist.
Vor allem das Mädchen, später die erwachsene Frau Thula steht im Mittelpunkt der Handlung, die aus veschiedenen Pespektiven geschildert wird. Ihr Vater ist aufgebrochen, um in der Provinzhauptstadt das Problem der Ölverschmutzung anzusprechen und nie zurückgekehrt. Ihr Onkel, der zu den Männern gehört, die die Entführung de Ölfirmenmitarbeiter initiieren, wird hingerichtet. Seine Bücher inspirieren das schweigsame Mädchen, das Bildung regelrecht hungert und die Chance bekommt, in Amerika zu studieren.
Auch von New York aus hält Thula den Kontakt zu den "Kindern", wie sie in dem Buch bezeichnet werden, aufrecht - diejenigen, die im gleichen Jahr wie sie geboren sind, gemeinsam aufgewachsen, die schon als Kinder den Tod von Mitschülern und Geschwistern verkraften mussten und sich geschworen haben, für ihr Dorf und gegen den Ölkonzern zu kämpfen. Thula lernt in den USA über Protestbewegungen und Widerstand, teilt ihre Erkenntnisse in langen Briefen mit ihren Freunden. Einige der jungen Leute werden ungeduldig, greifen zur Gewalt. Über der Frage, mit welchen Gruppen gekämpft wird zerfällt die Gruppe der Altersgenossen. Auch Thula will nach ihrer Rückkehr in die Heimat nur gewaltlosen Widerstand.
In ihrem Buch untersucht Mbue, wie manche Menschen um jeden Preis weiterkämpfen, andere resignieren oder ihre Familie in den Vordergrund rücken. Sie wirft die Frage auf, ob ein gerechter Kampf auch jedes Mittel rechtfertigt. Und sie zeigt die Machtlosigkeit von Menschen, die in einer von Korruption und Machtgier geprägten Gesellschaft ohne verlässliche Gesetze, Umweltauflagen und transparente Regeln Willkür ausgesetzt sind. "Ich habe keine Antworten - ich ziehe es vor, Fragen zu stellen", wurde sie in einem Bericht der "New York Times" über ihr Buch zitiert.
Genau das ist - neben dem Einblick in über Generationen hinweg gepflegte Traditionen - das große Plus dieses Buches. Es wäre sehr leicht, plakativ über den bösen Ölkonzern und die guten Dorfbewohner zu schreiben. Doch auch die, die unter dem Öl leiden, handeln grausam und ungerecht, und selbst bei der Ölfirma gibt es Menschen, die Einsicht zeigen, selbst wenn sie die Verhältnisse nicht ändern (können). Die Kritik an Despotismus und big men - für den ebenfalls fiktiven Herrscher fallen von Mobutu bis zu Idi Amin etliche Parallelen auf - und die Enttäuschung auch über das demokratische Rechtswesen, bei dem die Einwohner von Kosawa mit einer Klage scheitern, macht "Wie schön wir waren" komplexer und vielschichtiger.
Kosawa mag Fiktion sein. In vielen afrikanischen Ländern - und nicht nur dort - sind ähnliche Probleme und Themen bis heute aktuell. Klare Leseempfehlung.