Dora ist mit ihrer kleinen Hündin aufs Land gezogen. Sie brauchte dringend einen Tapetenwechsel, mehr Freiheit, Raum zum Atmen. Aber ganz so idyllisch wie gedacht ist Bracken, das kleine Dorf im brandenburgischen Nirgendwo, nicht. In Doras Haus gibt es noch keine Möbel, der Garten gleicht einer Wildnis, und die Busverbindung in die Kreisstadt ist ein Witz. Vor allem aber verbirgt sich hinter der hohen Gartenmauer ein Nachbar, der mit kahlrasiertem Kopf und rechten Sprüchen sämtlichen Vorurteilen zu entsprechen scheint. Geflohen vor dem Lockdown in der Großstadt muss Dora sich fragen, was sie in dieser anarchischen Leere sucht: Abstand von Robert, ihrem Freund, der ihr in seinem verbissenen Klimaaktivismus immer fremder wird? Zuflucht wegen der inneren Unruhe, die sie nachts nicht mehr schlafen lässt? Antwort auf die Frage, wann die Welt eigentlich so durcheinandergeraten ist? Während Dora noch versucht, die eigenen Gedanken und Dämonen in Schach zu halten, geschehen in ihrer unmittelbaren Nähe Dinge, mit denen sie nicht rechnen konnte. Ihr zeigen sich Menschen, die in kein Raster passen, ihre Vorstellungen und ihr bisheriges Leben aufs Massivste herausfordern und sie etwas erfahren lassen, von dem sie niemals gedacht hätte, dass sie es sucht.
Juli Zehs neuer Roman erzählt von unserer unmittelbaren Gegenwart, von unseren Befangenheiten, Schwächen und Ängsten, und er erzählt von unseren Stärken, die zum Vorschein kommen, wenn wir uns trauen, Menschen zu sein.
Dora ist Werbetexterin und lebt mit ihrem Freund Robert in Berlin. Als die Corona-Pandemie ausbricht und Robert immer mehr in die Virushysterie verfällt, beschließt Dora mit ihrer Hündin Jochen in ihr ...
Dora ist Werbetexterin und lebt mit ihrem Freund Robert in Berlin. Als die Corona-Pandemie ausbricht und Robert immer mehr in die Virushysterie verfällt, beschließt Dora mit ihrer Hündin Jochen in ihr im Geheimen gekauftes Haus am Land zu übersiedeln, um den Lockdown als Auszeit zu nutzen. Doch das Landleben hat nur wenig mit Doras gewohntem Umfeld zu tun, was sie in einigen Bereichen herausfordert.
Ich bin ein großer Fan von Juli Zeh und ihren Büchern. Deshalb habe ich mich auch sehr auf diesen neuen Roman gefreut, obwohl dieser schon in der Presse als „erster Corona-Roman“ betitelt wurde. Dazu muss ich sagen, dass es für mich keine Verarbeitung der Pandemie in der Literatur bräuchte, es mich aber in diesem Buch aufgrund der eher zurückhaltenden Verarbeitung nicht gestört hat.
Die Geschichte an sich gefällt mir gut und mag ich die Thematik und die Moral derselben wirklich gerne. Ich hatte auch genug Stoff zum Nachdenken, wurde aber auch einfach gut unterhalten. Die Personen sind gut gezeichnet und hatte ich gleich Zugang zu diesen. Die Sprache ist wie von Juli Zeh gewohnt klar, schlicht und direkt, auch wenn ich bei der ein oder anderen schönen und klugen Formulierung durchaus hängen geblieben bin.
Juli Zeh greift wieder ein Thema auf, was sie bereits früher umtrieb und weiter umtreiben wird: Die Freiheit der Bürger in ihrer Meinung und ihrem Leben. Im Vergleich zum facettenreichen "Unterleuten" ...
Juli Zeh greift wieder ein Thema auf, was sie bereits früher umtrieb und weiter umtreiben wird: Die Freiheit der Bürger in ihrer Meinung und ihrem Leben. Im Vergleich zum facettenreichen "Unterleuten" begrenzt Zeh in diesem Roman den Blick jedoch auf nur eine Protagonistin und deren Erlebnisse. Dora, welche der Stadt entflieht und in einem Dorf in Brandenburg vor Berliner Corona-Aufregung und dogmatischem Freund Schutz sucht. Dort entwickelt sich, für sie unerwartet, eine Nähe zum Dorf-Nazi und den politisch nicht immer korrekt eingestellten Dorfbewohnern.
Gewohnt süffig und durchaus witzig beschreibt Zeh nun die Annäherung zwischen Städterin und Dörflern. Leider ist der Plot zu überzufällig-märchenhaft angelegt und wenig überraschend. Es menschelt gar sehr im neuen Roman, wobei man zugeben muss: Er heißt ja nun einmal "Über Menschen". Für Leserinnen aus dem städtischen Mittelstand (laut stereotypen Bild) könnten hier noch neue Erkrenntnisse lauern, für ländliche oder offenere Leserinnen wohl eher weniger. Denn wer z.B. sowieso schon in einem Dorf mit 50% AfD-Wählern lebt, wird eines schon kapiert haben: Auch diese Menschen, so wenig man deren Einstellungen mag oder teilt, sind Menschen und können durchaus auch unerwartet nette Dinge tun.
Die Dramaturgie des Romans ist knackig und flott angelegt. So könnte man sich gut eine Verfilmung vorstellen. Mir war das Ganze manchmal schon fast ein wenig zu sehr Richtung Kitsch geneigt.
Und trotzdem: Zeh konnte mich einmal mehr fesseln und erreichen mit ihrem Roman. Zwar weniger als noch mit "Unterleuten", trotzdem handelte es sich um eine durchaus lohnenswerte Lektüre.
Dora ist ausgelaugt. Die Beziehung zu ihrem Freund wird zusehends belastet, denn Robert entwickelt immer militantere Ansichten zum Umweltschutz, zur Durchsetzung von Corona-Maßnahmen, überhaupt zu allem, ...
Dora ist ausgelaugt. Die Beziehung zu ihrem Freund wird zusehends belastet, denn Robert entwickelt immer militantere Ansichten zum Umweltschutz, zur Durchsetzung von Corona-Maßnahmen, überhaupt zu allem, was derzeit bewegt. Und er erhält als Online-Redakteur ungeahnten Zuspruch. Dora selbst hat trotz der Pandemie und eingefrorener Budgets ihren Job als Senior-Texterin einer Werbeagentur zwar behalten können, doch das Homeoffice ihrer gemeinsamen Altbauwohnung ist plötzlich viel zu klein, viel zu eng, seit Robert und sie pausenlos aufeinanderhocken.
Kurzentschlossen packt Dora ihre Hündin und zieht in ihr frisch erworbenes Haus im brandenburgischen Dorf Bracken – ohne Robert. Ein altes Gutshaus, ein verwildetes Grundstück und „dank“ Lockdown viel Zeit; Dora hofft, hier endlich zur Ruhe zu kommen. Die Zimmer streichen, den Garten kultivieren und nebenbei an der Werbekampagne für ein neues – selbstverständlich nachhaltiges – Jeanslabel arbeiten: So könnte man dem Wahnsinn entkommen, ohne ihm selbst anheimzufallen.
Doch Bracken ist nicht Berlin, weder was seine Bewohnerinnen noch deren Leben oder Probleme angeht. Doras direkter Nachbar, der kahlrasierte „Gote“, stellt sich ihr gleich unmissverständlich als „der Dorf-Nazi“ vor. Der andere Nachbar, Heini, macht gerne Witze, die nicht nur die Grenzen des guten Geschmacks überschreiten. Tom wiederum, der mit seinem Mann Steffen eine kleine Floristik-Manufaktur unterhält, wählt die AfD. Eigentlich alles klar. Oder? Genau so stellt man sie sich vor, die Dörfler jenseits des Speckgürtels. Tendenziell rechts, rassistisch und abgehängt.
Doch so einfach ist die Welt, wie man sie sich als Vertreterin einer woken Generation im urbanen Berlin vorstellt, dann doch nicht, muss Dora erkennen. Wenn es um reale Personen geht, greifen sozio-kulturelle Kategorien nur bedingt – oder gar nicht. Denn der „Dorf-Nazi“ ist eben nicht nur der Dorf-Nazi (auch wenn er des Abends mit Gleichgesinnten das Horst-Wessel-Lied singt). Der AfD-Wähler ist nicht nur ein AfD-Wähler. Der homosexuelle Ex-Schauspieler nicht nur ein Feingeist. Doch wenn es auf all diese Kategorien nicht ankommt, wenn keiner in die ihm zugewiesene Schublade passt, was sagt das über ihn und noch viel mehr über die aus, die in diesen Schubladen denkt? Und worauf kommt es denn eigentlich dann an?
Uff. Selten hat mich eine Lektüre so unentschlossen, so ratlos hinterlassen wie diese. Der Anfang des Romans hat mich entsetzlich erschöpft, denn Juli Zeh packt im ersten Viertel gleich das ganz große Besteck aus: Pandemie, Klimakatastrophe, Flüchtlingskrise, Alltagsrassismus, Rechtsextremismus, Chancenlosigkeit, Wendeverlierer, struktureller Wandel – es bleibt nahezu nichts unerwähnt. Und so sehr all diese Themen natürlich ihre Berechtigung haben, so sehr sie es verdient haben, auch literarisch geformt, benannt und transportiert zu werden: Es ermüdet nicht nur, letztlich wird die Fülle den Sachverhalten im Einzelnen auch nicht gerecht.
Die Geschichte Doras, die das urbane Kreuzberg hinter sich lässt, um im brandenburgischen Dorf Bracken der Pandemie (und ihrem bisherigen Leben) zu entfliehen, ist insgesamt zweifellos aktuell, die geschilderten Probleme akut, die Quintessenz ihrer Erkenntnis, dass soziokulturelle Kategorien nur bedingt dazu taugen, einen „echten“ Menschen in seiner Gesamtheit zu erfassen, wahr – und gleichzeitig entsetzlich banal.
Man muss nicht Soziologie studiert haben, um zu wissen, dass sich Identität aus vielen verschiedenen Rollen zusammensetzt, die mitunter in Konflikt zueinander stehen. Man muss nicht in ein brandenburgisches Dorf ziehen, um zu wissen, dass die Wende nicht nur „blühende Landschaften“ erzeugt hat. Und man muss auch nicht die Tochter eines wohlhabenden renommierten Chirurgen sein und erst eine alleinerziehende Mutter mit Knochenjob kennenlernen, um zu erkennen, dass soziale Ungerechtigkeit existiert. „Man“ muss das nicht – Dora, die naive, um nicht zu sagen: etwas dümmliche Protagonistin, schon.
Dennoch konnte ich dem Roman letzten Endes einiges abgewinnen, und das liegt vor allem an Juli Zehs Erzähltalent. So ermüdend für mich bisweilen der Inhalt, so banal die Botschaft auch waren – so gut waren die Sprache, die Art des Erzählens und letztlich auch die Handlung.
Deshalb kann ich „Über Menschen“ weder uneingeschränkt empfehlen, noch kann ich von der Lektüre abraten. Ich kann nur sagen, dass ich die Meinung jener, die das Buch feiern, ebenso nachvollziehen kann wie derer, die genervt die Augen verdrehen. Vielleicht macht ihr euch am besten selbst ein Bild?
Was wäre aktueller als die Flucht aufs Land zur Zeit der Corona-Pandemie? Genau darüber hat Juli Zeh nun einen Roman geschrieben. Mit ihrer typischen, bissigen Schreibweise nimmt ...
Über Menschen – Juli Zeh
Was wäre aktueller als die Flucht aufs Land zur Zeit der Corona-Pandemie? Genau darüber hat Juli Zeh nun einen Roman geschrieben. Mit ihrer typischen, bissigen Schreibweise nimmt sie so einige Themen unserer Zeit aufs Korn.
Dora hat genug von ihrem Alltag in Berlin, genug von ihrem Freund Robert, genug von Corona als einzigem Gesprächsthema. Kurzentschlossen zieht sie mit ihrer Hündin Jochen aufs Land, nach Bracken. Tatsächlich ist Corona hier kein so großes Thema wie in der Stadt. Nicht gerechnet hat Dora allerdings mit ihrem Nachbarn Gote, der sich mal eben als „Dorf-Nazi“ vorstellt. Zu ihrem Erschrecken muss sie feststellen, dass Gote eigentlich ein gutes Herz hat. Aber kann das überhaupt sein? Ein netter Nazi und Rassist?
Juli Zeh provoziert mit diesem Buch und andererseits auch wieder nicht. Schließlich ist Dora der klassische Gutmensch, auch wenn sie sich darüber lustig macht. Dora ist entsetzt angesichts des Ausmaßes an Rassismus, der ihr auf dem Land entgegenschlägt. Teilweise handelt es sich wohl einfach um derbe, unreflektierte Umgangssprache. Und dann muss sie auch noch feststellen, dass Menschen nicht einfach nur gut oder böse sind. Der böse Nazi kann wirklich auch nett sein? Oh! Naja, irgendwie fand ich Dora oft etwas sehr naiv. Diejenige mit den meisten Vorurteilen ist wohl auch sie selbst. Nett zu lesen, aber inhaltlich hat Frau Zeh sich meiner Meinung nach etwas überhoben. Da wusste ich des Öfteren nicht so recht, was sie dem Leser eigentlich sagen will…
Um ehrlich zu sein, war mir dieser Roman, der während der ersten Welle der Corona-Pandemie spielt, zu aktuell. Möglicherweise habe ich all die Argumente für und wider Lockdown etc. bereits etwas zu oft gehört. Genau wie die Diskussion um die Klimaaktivisten um Greta Thunberg, oder der Rassismus-Eskalation um George Floyd. Alles extrem aktuelle, sehr wichtige Themen, aber für mich auch alles mit Nerv-Faktor behaftet. Vielleicht sollte ich einfach keine Bücher über allzu aktuelle Themen lesen.
Tatsächlich hatte ich manchmal das Gefühl, dieses Buch wurde etwas lieblos hingeklatscht um schnell fertig zu werden. Zu viel Aktualität auf Kosten der Qualität. Klar, die Dialoge sind witzig, der Schreibstil gewohnt knackig. Trotzdem kommt es für mich bei Weitem nicht an frühere Werke heran.
Dora, 36 Jahre alt und Werbetexterin, verlässt mitten in der Coronakrise ihren Freund Robert und zieht von Berlin nach Bracken. In diesem typisch ostdeutschen Dorf hat sie ein Haus mit 4000 m2 Garten gekauft, ...
Dora, 36 Jahre alt und Werbetexterin, verlässt mitten in der Coronakrise ihren Freund Robert und zieht von Berlin nach Bracken. In diesem typisch ostdeutschen Dorf hat sie ein Haus mit 4000 m2 Garten gekauft, den sie nun bepflanzen will. Dora gerät ungewollt an Nachbarn, die Alltagsrassismus pflegen. Sie muss sich zwar nicht darüber klar werden, was sie darüber denkt, jedoch darüber, wie sie ihre Ansichten verteidigt und äussert. Mehr und mehr wird sie in die Dorfgemeinschaft hereingezogen und lernt Gote, den Nachbarn, näher kennen.
Das zentrale Thema der letzten 15 Monate, die Coronakrise, wird von der Autorin auf eine sachliche, manchmal sarkastische, aber immer authentische Art in die Geschichte rund um Dora verstrickt.
Ein grosses Gewicht bekommt der Klimaschutz. In Form der Figur Robert, der Exfreund von Dora, der ein Klimaaktivist der ersten Stunde ist, webt die Autorin die Klimaerwärmung, sowie die Rettung der Erde hervorragend in die Geschichte ein. Und das ohne zu werten, da sie die verschiedensten Fragen dazu aufwirft und man sich darüber seine eigenen Gedanken machen kann.
Ein weiteres grosses Thema ist Rassismus. Hier in der Gestalt von Doras Nachbarn. Ich musste ein paar mal schlucken, denn teilweise waren die Sprüche, die sie bringen, hart an der Grenze des Erträglichen. Erschreckt hat mich der offen gelebte Rassismus einiger Dorfbewohner. Darf man in einer Geschichte eine Figur so offen Rassismus zelebrieren lassen? Man darf, wenn man ein Gegengewicht schafft. Hier wäre das der Figur Dora zugefallen, doch die verfällt lieber in eine Rassismusstarre, statt Paroli zu bieten. Ich gestehe, ich war schockiert über den offen gelebten Rassismus und noch schockierter über Dora, die unter dem Deckmantel Nachbarschaft in Schockstarre verfällt, statt dagegen vorzugehen und klar ihre Meinung zu sagen. Dadurch verharmlost sich die ganze Thematik, etwas wofür ich absolut kein Verständnis habe. Weder in Büchern, noch im realen Leben.
Wenn Dora zu Beginn glaubt, dass in Bracken alles Friede, Freude, Eierkuchen und heile Welt ist, täuscht sie sich. Rechtsradikale, Kindesvernachlässigung, Rassismus und keine Saatkartoffeln zu kaufen, sind einige der Dinge, mit denen sie sich herumschlagen muss. Und genau hier liegt mein grösster Kritikpunkt. Irgendwie hat es Juli Zeh immer wieder geschafft, das Dorfleben mitsamt dem Dorf-Nazi ( O -Ton) als harmlose Sache darzustellen. Hier hätte ich mir eine schärfere Abgrenzung gewünscht.
Man erlebt die Szenen und Passagen mit viel Symbolik, die nachdenklich machen und oft erst beim zweiten Lesen eines Satzes ankommen. Sehr tiefsinnig ist der Schreibstil und die Autorin pflegt eine gehobene, präzise und bildreiche Sprache.
Bracken ist ein Ort, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen und eine Brutstätte von einer Gesinnung Mensch, die ich zutiefst verabscheue. Diese Geschichte hat in mir sehr viel aufgewühlt und das nicht nur beim Thema Rassismus. Auch die ganze Covid19 Thematik habe ich noch mal durchlebt.