Auftakt einer opulent angelegten, autobiographisch gefärbten Familiensaga
Mathilde und Amine lernen sich Ende des zweiten Weltkriegs in Frankreich kennen und verlieben sich sofort ineinander. Er ist Marokkaner, ein Kriegsheimkehrer, zurück von einer Front, die nicht die seine ...
Mathilde und Amine lernen sich Ende des zweiten Weltkriegs in Frankreich kennen und verlieben sich sofort ineinander. Er ist Marokkaner, ein Kriegsheimkehrer, zurück von einer Front, die nicht die seine ist. Sie ist jung und ungezähmt, gerade erst 20, verrückt nach dem Leben und einem leidenschaftlichen Abenteuer. Frisch verheiratet ziehen sie nach Meknès in Französisch-Marokko, wo Amine ein ödes Stück Land besitzt, das er als Landwirt eher schlecht als recht zu bestellen weiß, wo er versucht, endlich Fuß zu fassen für seine junge Familie, aus dem Schatten der Franzosen zu treten, dieses Fremdheitsgefühl auf der eigenen Erde abzuschütteln. Doch Mathildes naiver Traum der wilden, exotischen Liebe zerschellt bald an der harten Realität, das entbehrungsreiche Leben in dem von Unruhen gebeutelten Land holt sie auf den Boden der Tatsachen zurück. Sie liebt ihren Mann, ihre beiden Kinder, doch die Sehnsucht nach ihren Wurzeln ist groß, nach dem Gefühl dazuzugehören, und so steht sie bald vor einer schwerwiegenden Entscheidung, die ihr alles abverlangen wird.
Leïla Slimanis „Das Land der Anderen“ ist der Auftakt einer opulent angelegten, autobiographisch gefärbten Familiensaga und beginnt zur Zeit der Unabhängigkeit Marokkos in den 50er-Jahren. Sprachgewaltig, wie ich sie bisher nicht erlebt habe, erzählt die Autorin eine Geschichte, die fest verknüpft ist mit ihrer eigenen, von der Zerrissenheit einer Familie in einem zerrissenen Land, von kolonialem Erbe und dem harten Zusammenprall unterschiedlicher Welten und Kulturen, Werte und Vorstellungen. Jede ihrer Figuren brennt innerlich, hat eine tiefe Seele, ist wahrhaftig und zutiefst authentisch, wenn auch nicht immer sympathisch. Das Buch polarisiert hier auf Instagram stark und das kann ich gut verstehen. Es ist keine moderne Geschichte, keine feministische Geschichte, keine bequeme Geschichte. Mathilde erträgt vieles, hält aus und durch. Mich hat diese Frau beeindruckt, ihr Wille, im Sinne der Familie zu handeln, die eigene Verwirklichung, die heute als oberstes Gut gilt, einer größeren Sache zu opfern. Mir erscheint das mitunter schwieriger, mutiger zu sein, als einfach zu gehen, und ringt mir großen Respekt ab.