Der 19jährige Victor stammt aus der Provinz und besucht im zweiten Jahr eine Vorbereitungsklasse an einem Lycée in Paris. Wenn er den Concours, die Auswahlprüfung, besteht, bekommt er einen Studienplatz an einer der renommierten Grandes Ecoles, der Ecole Normale Superieur. Diese Schulen absolviert die französische Elite. Victor stammt aus einfachen Verhältnissen und verfügt nicht über die Codes in Bezug auf Herkunft, Bildung, Sprache und Kleidung, die ihm Zugang zu den betuchteren bürgerlichen Kreisen ermöglichen würden. Er ist völlig isoliert und widmet sich einzig und allein seinen Studien. Wider Erwarten sind seine Leistungen gut genug für das zweite Vorbereitungsjahr. Irgendwann lernt er den jungen Mathieu im Jahrgang unter ihm kennen, der offensichtlich das Gleiche erlebt wie er selbst. Sie rauchen zusammen und wechseln ein paar Worte. Victor kann sich eine Freundschaft mit ihm vorstellen und will ihn zu seinem Geburtstag einladen. Doch ehe es dazu kommt, begeht Mathieu Selbstmord, indem er in der Schule über ein Geländer in die Tiefe springt. Der berüchtigte Französischlehrer Clauzet hat ihn einmal zu oft gedemütigt. Dieses Ereignis verändert Victors Leben vollkommen. Auf einmal gilt er als der Freund des Opfers und wird sichtbar und beliebt. Die anderen suchen den Kontakt zu ihm, Mädchen interessieren sich für ihn, und der Star des Jahrgangs, der homosexuelle Paul, freundet sich mit ihm an, lädt ihn sogar zu sich nach Hause in die riesige Wohnung mit Blick auf den Jardin du Luxembourg ein. Victor, der außerhalb in einer Unterkunft für Studenten in Nanterre wohnt, lernt eine neue Welt kennen, hat plötzlich ein soziales Leben. Er ist sich sehr wohl der Tatsache bewusst, dass er von Mathieus Tod profitiert. Durch die vielen Ablenkungen werden seine Leistungen schlechter, so dass er keine Aussichten auf Bestehen des Concours hat. In dieser Zeit lernt er Patrick Lestaing, Mathieus Vater kennen. Victor und Patrick Lestaing kommen sich immer näher und werden zu einem Ersatzvater und Ersatzsohn, was ihnen hilft, mit dem Verlust fertig zu werden. Victor hat inzwischen beschlossen, einen anderen Weg einzuschlagen, sich zu entziehen, weil er empört ist über den Umgang der Schule mit dem Selbstmord: Nichts hat sich geändert, nicht am gnadenlosen Wettbewerb und auch nicht im Umgang der Lehrer mit ihren Schülern.
Am Beispiel von Victor und Mathieu zeigt Blondel exemplarisch, was es für junge Menschen bedeutet, ihr Milieu zu verlassen und mit Entwurzelung und Ausgrenzung zurecht zu kommen. Er behandelt dabei Themen wie Freundschaft, familiäre Beziehungen und den Konkurrenzkampf unter den Schülern. Der Autor hat diesen Roman im Alter von 50 Jahren veröffentlicht. Bei einer Präsentation seines Buches ließ er durchblicken, dass diese Geschichte autobiografische Züge hat, dass er sie sein ganzes Leben hat aufschreiben wollen. Nach eigener Aussage weckt ihn der bewusste Schrei, der im Roman mehrfach erwähnt wird, noch immer regelmäßig.
Mir hat “Ein Winter in Paris“ sehr gut gefallen – genauso gut wie “Et rester vivant“ und “06h41“.