Wie lange verarbeitet man eine Kindheit
Im neuen Roman von Jessica Lind "Kleine Monster" steht die kleine Familie von Pia und Jakob im Mittelpunkt. Die beiden Mittdreißiger haben einen siebenjährigen Sohn, Luca, der die zweite Klasse der ortsansässigen ...
Im neuen Roman von Jessica Lind "Kleine Monster" steht die kleine Familie von Pia und Jakob im Mittelpunkt. Die beiden Mittdreißiger haben einen siebenjährigen Sohn, Luca, der die zweite Klasse der ortsansässigen Grundschule besucht. Man hat den Eindruck, vor allem Pia als Mutter versucht bei der Erziehung ihres Sohnes alles perfekt zu machen. Dabei wirkt sie stellenweise etwas verkrampft, aber vielleicht ist das manchmal einfach so beim ersten Kind. Um so mehr beunruhigt es sie, als Lucas Lehrerin die beiden Eltern zum Gespräch bittet, um sie darüber zu informieren, dass der Junge sich einer Mitschülerin gegenüber unsittlich verhalten hat, so zumindest die Aussage des Mädchens. Was explizit vorgefallen ist, erfährt der Leser nicht wirklich, auch wenn sich vor allem Pia leidenschaftlich darum bemüht, Licht ins Dunkel der vermeintlichen Tat zu bringen. Pia und Jakob werden aus dem Elternchat ausgeschlossen, überhaupt fühlt sich die junge Mutter plötzlich ausgegrenzt. Während dieser vordergründigen Handlung reflektiert Pia aber im zweiten Handlungsstrang, der in der Vergangenheit spielt, über die eigene Kindheit. Wir erfahren, dass es zwei Geschwister gab, zum einen die leibliche Schwester Linda und Adoptivkind Romi. Als die Kinder klein waren, gab es einen tragischen Unfall, den Pia und eigentlich die gesamte Familie bis heute nicht ansatzweise verarbeitet hat. In kurzen klaren Sätzen erzählt Jessica Lind Pias Geschichte. Der Schreibstil der Autorin ist eigentlich sogar unemotional zu bezeichnen, sachlich, schnörkellos, und trotzdem werden erstaunlich viele Gefühle der unterschiedlichen Protagonisten transportiert, das bekommt Jessica Lind wirklich großartig hin! Obwohl mir Pia vor allem anfangs recht sympathisch war, und ich ihre Sorge um den Vorfall in Lucas Schule nachvollziehen konnte, legt sie aber nach und nach ihrem kleinen Sohn gegenüber ein Verhalten an den Tag,das in meinen Augen durch zu viel Misstrauen geprägt war, das ich nicht nachvollziehen konnte. Ich hätte mir mehr Vertrauen zwischen Mutter und Kind gewünscht. Der Mangel dessen ließ sich für mich auch nicht die traumatischen Ereignisse in Pias Kindheit rechtfertigen. Mich hat die Geschichte sehr bewegt, zugegebenermaßen der Handlungsstrang in der Vergangenheit um einiges mehr als die Gegenwart. Die Autorin widmet sich den Themen Schuld, geschwisterliche Beziehungen, zwischenmenschliches Vertrauen innerhalb der Familie und zeigt, dass vor allem eins wichtig ist: Ehrlichkeit untereinander! Ein Buch, für das ich sehr gerne eine Leseempfehlung ausspreche, für alle, die tiefgründige Familiengeschichten mögen. Ich werde die Autorin auf jeden Fall im Auge behalten!