hat mich leider nicht überzeugt
Fern Brady schreibt autobiografisch über ihr bisheriges Leben, ihre Kindheit, Jugend und den Beginn der Erwachsenenzeit.
Für mich haben Autobiographien drei relevante Elemente, das Erzählen von Lebensereignissen, ...
Fern Brady schreibt autobiografisch über ihr bisheriges Leben, ihre Kindheit, Jugend und den Beginn der Erwachsenenzeit.
Für mich haben Autobiographien drei relevante Elemente, das Erzählen von Lebensereignissen, das Deuten dieser Lebensereignisse in der Verbindung zu einem persönlichen Lebensnarrativ und zuletzt die Einordnung in einen größeren gesellschaftlichen Kontext. Der Untertitel der deutschen Ausgabe weckt die Erwartung, dass dies in Fern Bradys Autobiografie mit dem Ziel einer Aussage zu Autismus und Sexismus geschieht.
Es ist nicht ganz eindeutig, in welchem Abstand zu ihrer Diagnose Fern Brady diese Autobiografie geschrieben hat, aber aufgrund der bekannten Daten würde ich auf vielleicht zwei Jahre schätzen. Das Phänomen der Rückschau, des die eigene Lebensgeschichte unter dem neuen Blickwinkel der Diagnose nochmal neu erzählen, ist recht weit verbreitet unter spät diagnostizierten Autist*innen. Aber weder hat Fern Bradys Erzählung diesen Hunger des "warum", noch das Aufatmen des "endlich macht alles Sinn", die eine solche Rückschau nach einer späten Diagnose oft kennzeichnen. Sie hat ihren ganz eigenen Stil und Umgang damit ihr Leben zu erzählen.
Ein Leben ist erstmal was und wie es ist. Dass Fern Bradys Leben einiges an Hardship beinhaltet hat wird sehr deutlich. Sie beschreibt dies zum Großteil auf eine umgangssprachlich derbe Art, die manchmal unbeteiligt oder emotionslos wirkt. Kontrastiert zu dem damit provozierten Abstand zum Leser bietet der eher Podcastmäßige Gesprächston und die zt sehr detaillierten Beschreibungen von generell als intim bewerteten Themen ein Gefühl von Nähe. Gerade diese Erzählweise kann natürlich mit dem Autismus zu tun haben.
Manchmal wirkt die deutsche Ausgabe etwas holprig oder sperrig, ich vermute, dass das an den Übersetzungsschwierigkeiten eines so umgangssprachlichen Buches liegt.
Auch habe ich mich zum Teil gefragt, wie der Ton zu den Inhalten passt, wenn sie zb auf das Schicksal nicht weniger autistischer Menschen dauerhaft im psychiatrischen System zu verschwinden thematisiert und gleichzeitig Adjektive wie "verrückt" und "dumm" in ihrer abwertenden konotation unhinterfragt nutzt. Auch ihre Kommentare zu körperlichen Normabweichungen anderer Menschen sind mir leider öfter unangenehm aufgefallen.
Ein Leben, in dem so viel passiert ist, zu erzählen, kann kaum einfach sein. Fern Brady schreibt mutig und offensichtlich darum bemüht den unterschiedlichen Lebenswelten und Kontexten jeweils gerecht zu werden. Es geht offensichtlich um so viel mehr als Autismus und Sexismus, Fern Brady bleibt in der Erzählung ihres Lebens erfrischend vielschichtig. Katholizismus, Sexarbeit, toxische Beziehungen, psychiatrische Tagesklinik, Auseinandersetzungen mit dem juristischen System, Büroarbeit, die Fernseh- und Comedyszene; die Vielfalt ist groß.
Ich komme auch nach der vollständigen Lektüre nicht zu einer übergeordneten Aussage, zu etwas, was die einzelnen geschilderten Lebensereignisse zu einem Narrativ verbindet und in den gesellschaftlichen Kontext einordnet. Im Einzelnen erklärt Fern Brady zwar ab und an Traits von Autismus an ihrer Erzählung oder bietet ein kurzes Statement zu gesellschaftlichen Strukturen, aber es entsteht für mich kein roter Faden durch die Kapitel hindurch. Der deutsche Untertitel, der versucht diese Autobiografie auf Autismus und Sexismus einzuengen tut dem Buch meiner Meinung nach keinen Gefallen.
Manche Kapitel oder Momente an ihrer Erzählung haben mich persönlich sehr interessiert und/oder beeindruckt. Dazu zählen unter anderem ihre Beobachtungen in der psychiatrischen Tagesklinik für Jugendliche, die Art wie sie ihre Erfahrung von Suizidalität und Erschöpfung beschreibt und ihre schiere Willenskraft ihren Weg zu finden. Etwas schade fand ich, dass wir zu ihrem Diagnoseweg wenig direkt und konkret erfahren.
Es war bereichernd Fern Brady über ihr Leben zuzuhören. Nicht nur an den, eher seltenen, Stellen an denen ich mit meiner Lebenserfahrung anknüpfen konnte, sondern gerade auch da, wo ich Einblicke in Lebensrealitäten bekam, die mir fremd sind. Vermutlich ist diese Autobiografie am interessantesten für Menschen, die Fern Brady zb aus dem Fernsehen kennen und ein recht breites Interesse an ihrer Lebensgeschichte haben.