Schwere Themen, viel Tiefgang und ein insgesamt außergewöhnliches Leseerlebnis
Babel von R.F. Kuang ist kein gewöhnliches Fantasybuch - es ist inhaltlich und weltenbauerisch umfassender, tiefgehender, kritischer und schwerwiegender als alles, was ich bisher gelesen habe. Es werden ...
Babel von R.F. Kuang ist kein gewöhnliches Fantasybuch - es ist inhaltlich und weltenbauerisch umfassender, tiefgehender, kritischer und schwerwiegender als alles, was ich bisher gelesen habe. Es werden viele politische und gesellschaftliche Themen angesprochen, hinterfragt und kritisiert, das Thema Sprache, deren zu Grunde liegende Bedeutung und insbesondere der Zusammenhang mit Übersetzung wird in vielen Dialogen, die ich mir allesamt als Lieblingszitate markieren hätte können, ausführlich betrachtet. Zwischen all dem Tiefgang und den schweren Themen gibt es rund um den Protagonisten Robin aber auch noch eine Geschichte über Freundschaft und Loyalität, die mich wirklich sehr bewegt hat.
Im Kern spielt die Handlung von Babel in Oxford, genauer gesagt am Übersetzungsinstitut "Babel", wo Robin, der Protagonist des Buches, nach jahrelanger Vorbereitung unter den Fittichen von Prof. Lovell zu studieren beginnt. Dort findet er schnell eine Freundesgruppe aus gleichgesinnten Übersetzungsstudent:innen, deren Schicksal und Vergangenheit ebenso schwer wiegt, wie das von Robin, doch aber auch ganz anders ist. Schnell sorgen die Umstände dafür, dass Robin die Arbeit in Babel und für das Empire zu hinterfragen beginnt, bis er sich entscheiden muss, ob er weiterhin dem Empire dienen oder für seine eigenen Überzeugungen eintreten will.
Zunächst einmal muss ich sagen, dass Babel mich in vielerlei Hinsicht überrascht hat - teilweise im positiven, teilweise im negativen Sinne. Da es dem Genre der Fantasyromane zugeordnet wird, bin ich auch mit der Erwartung, viele fantastische und magische Elemente in der Geschichte wiederzufinden. Dahingehend wurde ich leider enttäuscht, denn auch wenn der Aspekt des Silberwerkens (was im Grunde das Magiesystem ausmacht) für die Storyline von zentraler Bedeutung ist, hatte ich nicht wirklich das Gefühl in einer Fantasygeschichte zu stecken. Im Grunde ist dies auch kein Problem, allerdings finde ich dahingehend das Marketing und den Vergleich mit Harry Potter eher ungeeignet, da dies Erwartungen bei Leser:innen schürt, die nicht erfüllt werden können.
Stattdessen hätte mit einem der zahlreichen Besonderheiten dieses Buches geworben werden können: Babel spricht komplexe politische und gesellschaftliche Themen an, die aber so gut in die Geschichte eingeflochten wurden, dass es sich immer noch flüßig und nicht wie ein Geschichtslehrbuch lesen lässt. Zudem wurde alles sehr sehr gut und ausführlich erklärt, sodass man auch ohne viel Vorwissen rund um das Empire alles verstehen konnte. Ein weiteres, in meinen Augen einzigartiges Thema ist das der Übersetzung und der Sprache allgemein. In diesem Bereich wurde so viel genannt, was mir mehr als nur einen Aha-Moment eingebracht hat. Generell fand ich die Dialoge, in denen über die Ursprünge von Sprache und die Rolle der Übersetzenden gesprochen wurde einfach nur grandios.
Um noch einen weiteren Aspekt zum Thema Sprache zu erwähnen, der Schreibstil, die Formulierungen und die Wortwahl haben mir hier wirklich sehr sehr gut gefallen! Da ich durch Babel nun sensibilisiert wurde, was das Werk des Übersetzenden angeht, muss ich an dieser Stelle auch die beiden Übersetzerinnen loben, die Babel ins Deutsche, und damit in die Version, die ich gelesen habe, übertragen haben. Der Schreibstil hat mich wirklich von Anfang bis Ende überzeugt und in meinen Augen auch sehr gut zum Inhalt des Buches gepasst. Auch wenn oft eher in einem nüchternen Ton erzählt wurde, lag in den Ausführungen so viel Tiefe, dass diese auch bei mir beim Lesen viele Emotionen wecken konnten.
Was mir ebenfalls sehr gut gefallen hat, sind die sehr vielschichtigen Charaktere. Insbesondere Robin konnte ich über das Buch hinweg so so gut kennenlernen. Aber auch die anderen drei Student:innen aus Robins Jahrgang (Ramy, Letti, Victoire) sind sehr greifbar geworden. Tatsächlich konnte ich auch jede Handlung oder Entscheidung der vier nachvollziehen, auch wenn diese wirklich sehr fraglich waren. Aber der Autorin und den Übersetzerinnen ist es gelungen ihre Sichtweise so nachvollziehbar darzulegen, dass auch moralisch graue Aspekte aus deren Sicht verständlich erschienen.
Wenn ich die Geschichte noch einmal allgemein betrachte, dann gab es viele Phasen, die sehr spannungsgeladen waren, wohingegen einige aber auch eher ereignislos geblieben sind. Letzteres fand ich persönlich aber auch nicht schlimm, denn diese Passagen konnten beispielsweise mit informativen, poetischen Diskussionen glänzen oder Aspekte der Vergangenheit einer Person enthüllen.
Babel final mit Sternen zu bewerten fällt mir ehrlich gesagt sehr schwer. Auf der einen Seite bin ich wirklich beeindruckt von der Fülle an Recherche, die in dieses Buch geflossen sein muss, wie tiefgehend viele Dialoge und Themen ausgearbeitet worden und wie treffend dieser umfangreiche Inhalt in Worten verpackt wurde. Andererseits hat mir beim Lesen die Euphorie gefehlt. Auch wenn ich die Storyline wirklich spannend fand und immer unbedingt wissen wollte, wie es weitergeht, hat mir doch dieser letzte Funke gefehlt.
Abschließend kann ich Babel wirklich jedem empfehlen, der Lust hat, ein Buch mit eher schwerwiegenden Themen, die mehr zum Nachdenken anregen als der puren Unterhaltung dienen, zu lesen. Dabei sollte man aber nicht zu große Erwartungen an den Fantasy Aspekt haben. Für mich war es selbst eine spannende Erfahrung Babel zu lesen, da ich sonst eher zu leichteren Büchern greife, bei denen ich abschalten kann.
Dennoch konnte ich durch Babel viel lernen, reflektieren und ich werde in Zukunft sicher noch mehr von R.F. Kuang lesen.