Unter Wasser oder über Wasser - ins Leben eintauchen oder abtauchen?
Ihren Roman ,Gute Gründe‘ beginnt und beendet Nadine J.Cohen mit Yael, einer Frau Anfang Dreißig, und einem wunderschönen Frauenschwimmbad. Ins Wasser springen? Eintauchen? Aber in was?
Der Lesende durchlebt ...
Ihren Roman ,Gute Gründe‘ beginnt und beendet Nadine J.Cohen mit Yael, einer Frau Anfang Dreißig, und einem wunderschönen Frauenschwimmbad. Ins Wasser springen? Eintauchen? Aber in was?
Der Lesende durchlebt mit Yael ein Jahr lang eine harte , spannende Zeit. Sie ist depressiv und hat einen Suizidversuch, genannt ,die Sache’, hinter sich. Ihre bereits verstorbenen Eltern, eine frühere toxische Beziehung, Hänseleien bis Mobbing in der Kindheit und einiges andere haben tiefe Spuren hinterlassen.
Yael hadert mit sich und dem Leben, doch ihre Schwester sowie eine, meiner Meinung nach nicht immer kompetent wirkende Psychotherapeutin und einige andere wollen ihr helfen, gute Gründe für das Leben zu finden.
Der Lesende erfährt viel, sowohl über Yaels Jetzt-Zustand als auch über ihre Vergangenheit, in der wohl einiges ihrer dunklen Phasen zugrunde gelegt wurde, was erst viele Jahre später zum Ausbruch kam.
Nadine J. Cohen erzählt dies phasenweise recht sprunghaft in den verschiedenen Zeitebenen, auf die man sich erst einmal einlassen können muss. Gelingt dies, so erkennt man trotz des ganzen Auf und Abs an Gefühlen dennoch eine überwiegend leicht ansteigende Kurve.
Die liebevoll und einfühlsam charakterisierten Protagonisten und deren Stimmungen helfen dem Lesenden, Teil der Geschichte, der Familie zu werden und genauer hinter die Kulissen zu blicken, statt in komplette Melancholie oder zu großes Mitleid zu verfallen.
Man bangt mit, hofft, sucht den Strohhalm, macht sich Gedanken über Yaels Krankheitsbild, aber das alles mit einer Familiengeschichte, die zwischen den Zeilen auch Platz für Humor und Hoffnung bereit hält und weder als Sachbuch noch als psychologisches Lehrwerk daherkommt.
Dieses Buch öffnet oder weitet den Blick für psychische Erkrankungen ohne erhobenen Zeigefinger. Es zeigt, wie facettenreich und unsichtbar diese Erkrankung sein kann und dass es den Begriff ,normal‘ eigentlich gar nicht geben sollte, denn normal ist eine Beschreibung für z. B. eine Waschmaschineneinstellung, aber nicht für einen Geisteszustand.
Auf dem Cover sieht man die Protagonistin vor grellem gelben Hintergrund, evtl.Sonnenlicht. Sie reibt sich die Augen wie nach dem Blick ins zu grelle Licht oder wie nach einem Tauchversuch. Ist es ein Zeichen von Aufbruch, von Ausweglosigkeit oder eher von Traurigkeit?
Dieses schlichte Cover greift Yaels ursprüngliche Ausweglosigkeit gut auf. Ich finde es äußerst passend, denn für Verschnörkelungen ist derzeit noch kein Platz in Yaels Dasein.
Aber es gibt viele Gründe, gute Gründe und noch viel viel größeren Mut, um zu leben, statt sich Sprung ins kalte Wasser?
Damit wären wir wieder beim Schwimmbad!