Eine überladene Geschichte mit einer überzeugenden Grundidee
Inhalt:
Es wird hektisch auf der sonst eher ruhigen Insel Juist. Euard Kießling, der Patriarch der Familie, soll das Bundesverdienstkreuz verliehen bekommen. Zu diesem Anlass kommt die ganze Familie zusammen ...
Inhalt:
Es wird hektisch auf der sonst eher ruhigen Insel Juist. Euard Kießling, der Patriarch der Familie, soll das Bundesverdienstkreuz verliehen bekommen. Zu diesem Anlass kommt die ganze Familie zusammen und alle bringen ihr emotionales Päckchen mit. Was wie eine harmonische Zusammenkunft beginnt, wird mit dem plötzlichen Auftauchen von Helen auf einen Schlag zunichtegemacht. Helen behauptet, mit der Familie Kießling verwandt zu sein und ist auf der Suche nach ihren leiblichen Eltern. Sie gleicht nicht nur Adda, Eduards Frau, aufs Haar, sondern lässt mit ihren Nachforschungen auch die brodelnden Emotionen der einzelnen Familienmitglieder ans Tageslicht kommen...
Meine Meinung:
Mir hat es grosse Freude bereitet, dieses Buch in einer Leserunde zu lesen und mich mit meinen Mitleserinnen über den Inhalt auszutauschen. Die Geschichte hat es nämlich wirklich in sich, aber was die grösste Stärke der Autorin ist, ist gleichzeitig auch die grösste Schwäche des Buches. Anne Prettin hat eine blühende Fantasie, ein grosses Interesse an historischen Ereignissen und kann - vor allem Landschaften, die Figuren bleiben nämlich (mit Ausnahme von Adda, Helen und Onno) eher blass - traumhaft schön beschreiben. In ihrem Erstling hat sie es aber vor allem mit ihrer Fantasie ein wenig übertrieben und eine eigentlich spannende Familiengeschichte erstens überladen und zweitens ein wenig gar an den Haaren herbeigezogen konstruiert. Das ist total schade, da sich in ihrem Schreibstil eigentlich grosses Potenzial finden lässt. Mit dieser Geschichte hätte man nämlich genug Stoff für eine ganze Reihe gehabt.
Aufbau und Handlung:
Die Grundidee von "Die vier Gezeiten" ist aber sehr überzeugend und besonders gut gefallen hat mir, wie das Buch beginnt und daraufhin ein spannendes Handlungsgeflecht aufgebaut ist. Ein kraftvoller Tagebuchtext beschreibt die geplante Selbsttötung einer anfangs noch unbekannten Frau im Detail. Nach diesem Prolog springt die Erzählung mitten in die Hauptprobe der Rede von Eduard Kießling. Dabei werden alle Figuren kurz vorgestellt und auch das Inselflair kommt nicht zu kurz. Nach Helens plötzlichem Auftauchen beginnt die Stimmung zu kippen. Abgründe tun sich auf und aus verschiedenen Perspektiven erzählte Erinnerungen und Erlebnisse setzen nach und nach eine Geschichte zusammen, die von Freundschaft, Liebe, von Intrigen, Verrat, Verletzungen und Verantwortungslosigkeit erzählt.
Diese Stimmungswechsel haben mir persönlich sehr gut gefallen und ich hatte auch keinerlei Probleme mit den unterschiedlichen Erzählstimmen. Schliesslich steht immer, wer gerade erzählt und in welchem Jahr wir uns beim Lesen befinden. Mir reicht das, um den Überblick zu behalten. Einzelne Teilnehmerinnen der Leserunde haben sich damit aber schwergetan. Solltet ihr ebenfalls Mühe mit solchen Sprüngen haben, ist dieses Buch vielleicht nichts für euch.
Schreibstil:
Wie bereits erwähnt, hat mir die Erzählsprache der Autorin sehr gefallen. Leider gelingt es ihr zwar nicht, dass alle Figuren zum Leben erwachen, aber dafür sind die Schilderungen der Landschaft der Insel und der Stimmungen und Emotionen um so realistischer und überzeugender beschrieben. Auch werden zahlreiche nicht ganz einfache Themen wie Suizid, ungewollte Schwangerschaft, Verlust und die eigene nationalsozialistische Vergangenheit einzelner Figuren und generell der Region mit dem nötigen Feingefühl und historischen Bewusstsein in die Geschichte eingearbeitet, wenn auch einzelne Themen unschön oft vorkommen und dabei - wie anfangs geschildert - ein wenig zu konstruiert wirken.
Fazit:
"Die vier Gezeiten" von Anne Prettin lässt mich ein wenig ratlos zurück, da ich einerseits den Schreibstil und die Idee, sowie das ganze Grundsetting dieser Geschichte sehr gemocht habe, aber andererseits einzelne Elemente der Handlung als stark übertrieben empfinde. Wer aber Inselflair und verstrickte Familiengeschichten mit vielen Rückblenden und ein wenig Spannung mag, sich aber am Hang zur Übertreibung nicht stört, wird mit diesem Buch schöne und unterhaltsame Lesestunden verbringen, da bin ich überzeugt.