Unzählige kleine Weisheiten zwischen zwei Buchdeckeln
Sallys Leben besteht daraus, Rollen zu erfüllen. Sie verkörpert die Tochter, um die man sich keine Sorgen machen muss, die Freundin, die sich für ihren Freund die Beine rasiert, die stille Zuhörerin, die ...
Sallys Leben besteht daraus, Rollen zu erfüllen. Sie verkörpert die Tochter, um die man sich keine Sorgen machen muss, die Freundin, die sich für ihren Freund die Beine rasiert, die stille Zuhörerin, die ihre eigene Meinung nur mit sich selbst teilt.
Keine diese Versionen fühlt sich für Sally nach dem an, was sie wirklich sein will, doch sie begnügt sich mit den Minuten des Tages, die sie in der Badewanne verbringt, um sie selbst zu sein und verhält sich den Rest der Zeit, wie es ihr Umfeld von ihr erwartet. Bis Leni, die Volontärin ihrer Mutter, bei ihnen zu Hause einzieht und Sally plötzlich mit Gefühlen konfrontiert ist, die in keine ihrer Rollen passt und die sich doch echt anfühlen. Doch Leni ist eine Mitarbeiterin ihrer Mutter, was nur einer der Gründe ist, die gegen all die Empfindungen sprechen, die sich nach und nach in ihrem Herzen einnisten. Und so wird Sally mit der Frage konfrontiert, ob etwas richtig ist, wenn es von außen betrachtet so aussieht oder wenn es sich im Inneren richtig anfühlt- und, ob sie endlich eine Rolle gefunden hat, die sich nicht wie eine anfühlt.
„Vom Mond aus betrachtet, spielt das alles keine Rolle” war mein erster Roman von Anne Freytag und ich kann ohne zu übertreiben sagen, dass dieses Buch zu den Überraschungen meines bisherigen Lesejahres zählt.
Anne Freytag, die mit ihren Jugendromanen regelmäßig die Spiegel Bestseller Liste stürmt, ist bekannt für ihren schlichten und ebenso emphatischen Stil, mit dem sie kleine und große Lebensweisheiten transportiert und nach dem Lesen dieses Buches, kann ich mich dieser Aussage nur anschließen.
Der Autorin gelingt es hier auf einzigartige Weise ihre Charaktere nicht nur authentisch darzustellen, sondern lässt sie beinahe wie reale Menschen erscheinen. Dass diese Grenze zwischen Fiktion und Realität beim Lesen so sehr verschwimmt, liegt mit Sicherheit daran, dass die Autorin Themen anspricht, die mitten aus dem Leben gegriffen sind.
Corona Pandemie, Schönheitsideale, Familiendiskussionen und über allem die Frage, wer man selbst eigentlich ist- das sind Probleme, die nicht nur Sally und Leni betreffen, sondern mit denen auch ich als Leserin mich auseinandersetzen muss, was mich die Geschichte viel intensiver hat erleben lassen.
Neben den langsam aufkeimenden Gefühlen zwischen den beiden, die Anne Freytag in unfassbar treffende Worte gepackt hat, fand ich vor allem die Entwicklung von Sally faszinierend.
Über das gesamte Buch hinweg ist man als Leser sehr nah an ihren Gedanken dran, was dazu führt, dass man die kleinen, aber bedeutungsvollen Veränderungen, die Sallys Zeit mit Leni in ihrem Inneren auslöst, sofort mitbekommt. Als besonders inspirierend habe ich empfunden, wie aus ihren Zweifeln langsam der Mut gewachsen ist, für sich einzustehen und für das zu kämpfen, was ihr etwas bedeutet.
Auf der Handlungsebene sollte man keine allzu großen Wendungen oder Spannung erwarten, doch für mich persönlich war das absolut in Ordnung, da der Fokus deutlich auf dem tiefen Einblick in das Innenleben der Protagonisten lag.
In Kombination mit Anne Freytags klarem, aber ungemein authentischem Schreibstil liest sich dieses Buch nicht bloß wie eine Geschichte, sondern erinnert viel mehr an einen Ratgeber, der einem auf leichte Art und Weise vermittelt, worauf es im Leben wirklich ankommt.
Als ich das Buch nach der letzten Seite zugeschlagen habe, war ich einige Post its ärmer und dafür viele Weisheiten reicher, von denen sich einige auch nachhaltig in mein Bewusstsein eingeprägt haben.
„Vom Mond aus betrachtet, spielt das alles keine Rolle“ zu lesen, ist wie das Erleben einer Reise, auf der ein junges Mädchen zu sich selbst findet.
Eine Reise, die nicht perfekt, aber dafür umso echter ist und letztlich nicht nur Sally neue Erkenntnisse bringt, sondern auch für den Leser unsagbar wertvolle Ratschläge bereithält.
Eine Reise, an deren Ende ich nur noch sagen kann, dass bitte noch ganz viele andere Menschen zu diesem Buch greifen und sich auf sie begeben sollen!