Zu wenig Fantasy und Action für einen Fantasy-Roman
"Was soll ich ausrichten..."
Ich hörte nicht mehr, was er danach noch sagte, denn die trappelnden Pferdehufe stampften alle ausgesprochenen und unausgesprochenen Argumente in Grund und Boden. Einer Entscheidung ...
"Was soll ich ausrichten..."
Ich hörte nicht mehr, was er danach noch sagte, denn die trappelnden Pferdehufe stampften alle ausgesprochenen und unausgesprochenen Argumente in Grund und Boden. Einer Entscheidung folgend, die nie mehr ungeschehen zu machen war, die tausend Träume beendete und einen einzigen gebar, galoppierte ich mit Pauline an meiner Seite auf die Deckung des Waldes zu. Ich sah nicht ein einziges Mal zurück.
--
INHALT:
Um den Frieden zwischen ihrem und dem angrenzenden Königreich zu sichern, soll die junge Lia einen ihr vollkommen unbekannten Mann heiraten - was ihr gar nicht gefällt. Kurzentschlossen flieht sie daher in ein Hafenstädtchen weit entfernt von ihrer Heimat, wo sie von nun an als Aushilfe in einem Gasthaus arbeitet. Sie ist das harte Leben nicht gewöhnt, aber alles ist ihr lieber als diese Hochzeit aus Pflicht statt aus Liebe. Eines Tages kehren in der Gaststätte zwei Männer ein: Gutaussehend, hilfsbereit, einer düster, einer freundlich. Lia fühlt sich zu beiden hingezogen. Was sie nicht weiß: Einer ist der Prinz, den sie nicht heiraten wollte. Und der andere ein Attentäter, gekommen, um sie zu töten...
MEINE MEINUNG:
Mit dem von der Autorin erschaffenen Königreich Morrighan ist "Der Kuss der Liebe" eigentlich High Fantasy: Länder, die miteinander im Clinch liegen, Reisen zu weit entfernten Orten, eine epische Liebe - das alles sind Markenzeichen des Genres. Im Deutschen wird das Ganze allerdings als Romantasy angepriesen. Hätte ich das mal vorher gewusst! Erzählt wird die Geschichte größtenteils aus der Ich-Perspektive von Lia, ab und zu kommen auch der Prinz und der Attentäter zu Wort. Die Autorin versucht sich hier in einem Verwirrspiel, welcher der Männer nun wer ist, das manchen nerven könnte. Der Schreibstil ist vor allem in den Dialogen oft plump, die Beschreibungen sind zu Anfang sehr poetisch, später eher eintönig. Einzig die Hintergründe des Königreichs sind interessant zu lesen.
Es gibt 17-jährige, die ein gewisses Verantwortungsbewusstsein haben und es gibt andere völlig ohne ein Gefühl dafür. Lia gehört zu Letzteren. Natürlich ist sie jung und will sich nicht bevormunden lassen, weshalb sie durch ihre Flucht in gewisser Weise für sich einsteht - trotzdem hätte ihr klar sein können, was für Konsequenzen ihr Handeln haben wird. Sie verhält sich oft sehr unbedacht und kopflos, denn obwohl sie nicht gefunden werden will, posaunt sie ihre Stellung mehr oder weniger offen heraus. Sie ist mutig, aber leider nicht besonders schlau. Das zeigt sich auch ein wenig in ihrer Männerwahl. Dadurch, dass man von den beiden Kerlen lange nicht weiß, wer wer ist, ist es schwer, sie zu charakterisieren. Um ehrlich zu sein, waren mir die Unterschiede nicht einmal besonders klar, außer dass Rafe geheimnisvoller zu sein scheint. Die Grenzen zwischen ihnen verschwimmen, für niemanden habe ich wirklich Sympathien gehegt. Die einzigen wirklich überzeugenden Figuren sind die Gasthof-Besitzerin Berdi und die Vagabundin Dihara, beide wirklich starke Frauen voller Wissen und Hilfsbereitschaft.
Wer wie ich den Fehler begeht High Fantasy zu erwarten, wird wahrscheinlich ebenso enttäuscht werden. Von einem Roman dieses Genres erwarte ich vor allem eines: Fantasy. Tatsächlich ist aber auf 550 von 560 Seiten keine Spur von Magie oder auch nur irgendetwas Phantastischem zu finden. Es passiert einen Großteil des Buches über einfach nichts. Lia flieht auf unglaubwürdig problemlose Weise und verbringt dann ein Drittel des Romans damit zu kellnern und mal mit dem einen Mann zu flirten, mal mit dem anderen. Die Liebesgeschichte drängt sich damit so stark in den Vordergrund, dass alles andere untergeht. Es geht nichts voran, es werden keine Fragen beantwortet und Action kann man schon gar nicht erwarten. Erst auf den letzten 150 Seiten geschieht etwas und Lia scheint sogar ein leichtes Verantwortungsbewusstsein zu entwickeln, aber selbst in dieser gefährlichen Situation lässt es sich die Autorin nicht nehmen, das Liebes-Dreieck weiter anzuheizen. Bis zum Schluss gibt es keine Antworten, stattdessen endet dieser Band mit einem Cliffhanger. Das lässt zwar Spannung aufkommen - befriedigt aber in keinster Weise.
FAZIT:
"Der Kuss der Lüge" ist Romantasy in seiner liebestollsten Ausführung. Das Drumherum mit dem Königreich und der ominösen Gabe der sogenannten Ersten Tochter hätte nicht sein müssen, denn Mary E. Pearson führt diese Ideen sowieso nicht weiter aus, sondern konzentriert sich auf die Liebesgeschichte. Ich hatte mir wenigstens einen Hauch Fantasy versprochen, wurde aber bitter enttäuscht. Sehr, sehr knappe 2 Punkte.